Friday, January 29, 2016

Behandlungszeitraum 2013

















Post-Gothic! (265)
08. März 2013, Leipzig/Flowerpower  

Drei lange Monate drehte sich die Welt ohne frenetische Aufführungen der Russian Doctors weiter; mittenmang hatten sich die Erben Pratajevs in ein metallastiges Studio namens Echolux zurückgezogen, dort so ganz nebenbei den Post-Gothic erfunden. Eine musikalische Schublade, in der es sich anmutig leben lässt. Nach  „Post-Punk“, „Post-Metal“ nun also „Post-Gothic“. Möglich wurde dies alles durch den wunderbaren Aufnahmeleiter Andy Schmidt. Ende Februar erschien schließlich „Wiege deinen Rumpf“, die CD zum 10-jährigen Bestehen der Doctors. Zwei kleinere Proben waren nötig, um das frische Pratajev-Kapital spielfähig präsentieren zu können. Wichtiger bisweilen erschien das Einstudieren des frischgebackenen Post-Gothic-Modetanzes „Wiege deinen Rumpf“. Die Doctoren Makarios und Pichelstein führten, unter Zufuhr belebender Getränke, diverse Vorschläge einem ausgewählten Jurypublikum vor; schon wurde ausgewogt, gewiegt, gerumpft. Der Abend im Flowerpower konnte starten. 10 Jahre Doctors, verbunden mit einer 4-Punkte-Tour durch die Heimatstadt; selbst die Leipziger Volkszeitung schrieb „Das ist neu!“

Der Chef persönlich ist vor Ort; André Streng tarnt sich als Hausmeister und überreicht das Willkommenspräsent, einen Schnapsbecher aus Holz. Zwar stammt der aus Finnland, spielt für die Bermasik-Forschung der Pratajev-Gesellschaft in Zukunft jedoch gewiss in Bälde größere Rollen. Zuletzt entwickelten einzelne Forscher im Haus aus Stein Nummer 7 die Idee, Pratajev sei immerhin bis nach Schweden vorgedrungen. Finnland liegt bekanntermaßen gleich um die Ecke. Findet auch Philipp, eingeteilt vom „Hausmeister“ für die Umsorgung der Doctors. So schwebt man zwischen Soundcheck, Schnäpsen, Brötchen dahin und das Flowerpower füllt sich immer mehr. Wo soll man stehen? Wo soll man gehen? Glücklich ist, wer heute Privatier ist und sitzt oder steht oder liegt. Oder auf dem Weg zu jemandem ist. Das ist völlig egal. Und so freut es umso mehr, dass Magdeburger, Berliner, Dresdner, Wittenberger, Chemnitzer und viele mehr aus weiten Teilen der Republik anreisten, dass selbst Genosse Winogradow (B) dem Ruf des Forscherkollegen Eademakow folgt, in Lichtgeschwindigkeiten vor Ort ist. Nicht vergessen wollen wir Fürst Fedja aus Belarus! Es leben die Zigarren der Zufriedenheit, ihr Rauch verleihe uns, beim Schnapse, Glückseligkeit.

Die Pratajev-Revue erklingt; das ganz neue Programm erfährt mit der „Schönen aus der Stadt“ ihren Post-Gothic-Anfang. Philipp ist derart gerührt, dass die Regler ein wenig später als geplant rotbereichig kulminieren. „An ihrem Garten“ folgt und so geht es immer weiter. Tief hinein, ins Herz Russlands. Pratajevs Wege, Leidenschaften, Nebentätigkeiten, seine Dichtkunst und Würze sprechen früh Bände. Und zaghaft wird der wiegende Rumpf gewogen. Natürlich, ein neuer Tanz, der will geübt werden. So neu ist das Programm, dass Doktor Pichelstein schon mal arg vom Text abweicht, eine Runde Schnellgitarre drüber legt - weiter geht’s mit den Weisen, die noch lange erklingen werden. Über die Pause hinaus, an der Schlange zur Schnapsbar vorbei, in die Zugabeblöcke  hinein. Endlos hätte man spielen können, doch einmal muss es genug sein. So einen feinen Auftakt ins Tourjahr darf man sich wünschen, doch bekommen dürfen ihn nur The Russian Doctors. Und das, liebe Freunde, ist Euer Werk. Bis morgen, nicht weit von hier, im „Noch Besser Leben“.               




Dawai, Neman Grodno! (266)
09. März 2013, Leipzig/Noch Besser Leben

Geprägt von erwartbaren, somit einkalkulierten Morgen-, resp. Mittagstiefs: Tagesziel Nummer eins: Informationen verarbeiten (zähfließend), Nummer zwei: die Rückkehr des Winters nicht gutheißen (Spatzen füttern), Nummer drei: Auftritt im „Noch Besser Leben“, in Plagiwtz (unfreiwilliges Spiegel-Motto: „Leipzig is the better Berlin“). Eintreffen am Club: 19 Uhr, Aufbau der Anlage: 19:30 Uhr, Soundcheck: 20:00. Die Minuten verrinnen zäh wie Leder, langsam erwachen beide Doctoren zu neuen Taten. Und dann stehen plötzlich überall Stühle im Saal, ist ein Interview gegeben worden, Dr. hc. Mult. Mary Fiction reicht  Jäger und Sammler Doctor Pichelstein eine herrliche Berliner Käsebemme nach Mutters Art. Fürst Fedja setzt noch einen drauf; beglückt Prumskis Erben im Erlenholzgeiste mit einem Eishockey-Trikot des weißrussischen Teams HK Neman Grodno (Belarusian Extraleague). Stolz wird’s übergeworfen, Doctor Makarios nickt anerkennend.

Um 21:30 Uhr knallt die erste Klappe, beginnt das Pratajev-Seminar im „Noch Besser Leben“. Andächtig, nahezu artig richten sich die Sinnesorgane des versammelten Publikums gen Bühne. Gestern noch stage-diving (annähernd), wilde Tänze, scheppernde Gläser, ineinander fallende Menschen (Post-Gothic!), heute gilt es, den Saal zum Toben zu bringen. Gar nicht so leicht, doch machbar ist es schon. Doctor Makarios führt das klatschende Seminar an, nimmt es mit auf Pratajevs Wanderwege, Doctor Pichelstein drischt wie von Sinnen auf die frisch besaitete Gitarre ein und schafft die Sensation: Die Schallmauer des Plagwitzer Publikums wird gleich mehrfach gebrochen. Teilweise hat es den Anschein, als wolle der schnellste Akustikgitarrist der Welt seinen Sangesdoc im Spielen mehrfach überholen. Aber das ist ja auch kein Wunder. Schließlich trägt der ein Trikot der schnellsten Mannschaftssportart der Welt. Die Folgen dieses, jetzt von Anfeuerungen (Dawai!) aus dem Publikum begleiteten, Unterfangens bleiben nicht ungesühnt. Platzen doch zwei Gitarrensaiten gleich auf einmal. Die dicke A und die D. Das soll mal einer nachmachen. So kommt die Ersatzklampfe ins Rennen; im Fetischblock gibt’s die Voyeure – und alle singen mit. „Da haben wir sie doch, mein Doktor“, raunen sich die Vortragenden zu, peitschen alles nach vorn, den Wind, der den Atem anhält und andere Salven aus den Vorgärten Miloproschenskojes.

Dann reift der Entschluss, es für heute gut sein zu lassen. Drei Zugabeblöcke stellen sich an, gebrannter Belarus-Vodka lockt zur Wiederholungstat. Mit letzter Kraft wird die Bühne beräumt, selig, trunken liegt man sich in den Armen. Pratajev is the better Kaminer. Yes.   

Wild, wilder, Murmansker Teufelsspieße (267)
15. März 2013, Leipzig/Waldfrieden

In der Küche des Leipziger Waldfriedens braten leckerste Doctoren-Schnitzel vor sich hin; an später dargereichten Murmansker Teufelsspießen wird letzte Hand angelegt, die Bühne strahlt bereits im lichten Glanze. Ja, das ist die Leipziger Südvorstadt; in Connewitz läuft alles rund. Wirt und Wirtin lassen es an nichts mangeln. Kaum fehlt den Gläsern der Füllstand, schon steht ein neues da. Ein verzehrtes Schnitzel bedarf schließlich, dem Verdauungsgebot folgend, nachtrinkbarer Heilkräuter. Möglichst aus Böhmen. Damit man auch am nächsten Tag noch was davon hat. Und sei es nur ein zarter Pfefferkuchenhauch am Mittag. Jetzt wird sogar geraucht, wunderbar, da holt man sich draußen, unter Eiseskälte, nicht den dritten Schnupfen in vier Wochen. Gesundheit geht immer vor.

Wenn Konzertpremiere in einer Lokalität gefeiert wird, weiß keiner so recht, wie alles wird. Fünf Minuten des Hinterfragens genügen jedoch; erfreulich füllt sich die urig-gemütliche Stätte der hirschnen Andacht. Ausgewählte Stühle sind längst besetzt, zwischen Eingang, Saal und Knick drängen sich Freunde Pratajevs, Neugierige wie Stammgäste. So knackevoll ist’s, dass die Straßenbahnlinie 11 Sonderschichten eingelegt haben muss. Buchmessehooligans lassen sich eher weniger blicken, dafür liebe Menschen und solche, die man noch lieb gewinnen wird. Gesellschafter des großen russischen Dichters treffen ein; die Reisegruppe Holunderschnaps (2x Karl-Marx-Stadt, 1x Leipzig) positioniert sich mittig vor der Bühne, ehrenwerte Frau-Krause-Fraktionen der Holzlöffler und Feldmänner stehen gleich nebenan, Schnapsgläser bei Fuß. Doctor Pichelstein reicht’s Intro der schnellsten Wirtin von ganz Sachsen; los geht sie, die Pratajev-Revue mit der „Schönen aus der Stadt“, die seltsame Menschen kennenlernt, übers Land an eine sehr „Dünne“ gerät, die wiederum und so weiter und so fort.

Unterbrochen von Jubelstürmen, der Feststellung des Doctor Makarios, dass man auch gefesselt Eishockey spielen kann, kleineren Tumulten (inkl. fallender Gläser, russisches Wirtshausgebaren) fühlt sich alles so an, als sei man tatsächlich Pratajevs Gefolge anheimgefallen, irgendwo bei Bolwerkow, im Jahre 1954.

In der Pause: kaum Durchkommen zur Schnapsbar. Mit letzter Kraft doch noch Flüssigkeiten ergattert, für Doctor Pichelstein gilt es nun, auch die Connewitzer Schallmauer zu durchbrechen. Und so jagen die Lieder durchs Waldfrieden Bibern hinterher, alles wie im Rausch, man will gar nicht mehr aufhören zu spielen und muss es dann doch. Zu sehr schwanken die Balken, bluten die Finger, versagen die Stimmen. Und allen, die beim absoluten Höhepunkt der Doctors-Tour durch Leipzig nicht dabei waren, sei gesagt: Das können The Russian Doctors immer wieder tun, keine Sorge. Doch gebt acht vor den Texten Pratajevs, denn einmal mehr wurden viele wahr. Nicht nur die Reisegruppe Holunderschnaps konnte gegen Ende ein Lied davon singen.

BULBASCH! (268)
16.März 2013, Leipzig/Dr. Seltsam

Auf zur letzten Runde der Leipzig-Tour. Noch schnell ins Hot-Dog-Lokal um die Ecke, Einflug ins Dr. Seltsam, justament wird die Anlage zur Beschallung des Publikums herausgetragen. Ein interner Kommunikationsfehler. Aber nun, ruhig Blut. Im selben Haus residiert das Noch Besser Leben; ein paar Schraubenumdrehungen später steht’s Mischpult am Platze, wird die Bühne gerichtet, die Klos befinden sich gleich nebenan. Wer hinein möchte, dem wird eine Kerze gereicht. Energiewende live. Derweil munden Störtebeker Brauspezialitäten und groß ist die Freude, als Fürst Fedja sich seine Ehrennadel fürs komplette Beisein sämtlicher Leipzig-Konzerte im Geiste abholt. Beim nächsten Mal, so die Überlegung, wären Holzlöffel mit entsprechend zielorientierten Wanderplaketten im doktoresken Merch nicht schlecht anzusehen Nach der ersten polnischen Rakete, gegen 22 Uhr, geht’s los.

Zwei dem Alkohol sehr zugetane Strolche verbreiten ein wenig Schrecken. Doctor Pichelstein vergisst bei dem gefahrbetonten Rumgehüpfe glatt die letzte Strophe der „Schönen aus der Stadt“. Wortgefechte folgen zwischen denen, die nun nichts mehr sehen können und denen, die da auf engstem Raume Teufel austreiben wollen. Doktor Makarios rettet die Situation mit dem ersten Pausenpfiff. An der Schnapsbar kühlen sich die Gemüter. Doch der Anpfiff zur zweiten Halbzeit erwirtschaftet auch nicht das, was er verspricht. Die angereiste Kamenz-Fraktion hält die Fahne hoch; es folgen weitere Pratajev-Weisen, Zugaben, Schnaps und Weiber, dann ist es geschafft. Mit letzter Kraft rettet sich Doctor Pichelstein in die Obhut Fürst Fedjas, der wenig später zum letzten Mittel greift: Es gibt Bulbasch im Noch Besser Leben. Die Welt ist im Lot, rund und fett wie der Morgen und immer noch voller Eis. 

Frieren gegen Nazis (269)
22. März 2013, Leipzig/Open Air Nikolaikirchhof: „Laut gegen Nazis“ 

„Wir stehen auf – für eine Welt ohne Menschenverachtung“ spricht das Motto einer bundesweiten Aktion wahr. Laut sein gegen Nazis, da zögerten die Russian Doctors keine Sekunde und sagten dem lokalen Initiator Sebastian Krumbiegel kurzfristig zu. Rassismus, das muss man gar nicht schreiben, ist Mist. Und wer das einfach nicht begreifen will, dem gehört bei jedem Wetter laut auf die Ohren gesungen. Das wusste bereits Pratajev, der wusste eigentlich alles.
 
Wenn jetzt noch Frühling wäre, schließlich schreiben wir Ende März, „12 Grad Minus“ kündigt die Wetterstation in Leipzig-Holzhausen an, tja, dann böte sich folgendes Bild: Makarios und Pichelstein, mit kalten Freisitzgetränken versorgt, harren ihres Auftritts, lauschen samtnen Bühnenklängen, den „Liebenden“ des warmherzigen Prinzensängers, heftig applaudierend, dem gesprochenen Wort folgend und so weiter. Doch nein, Frau Holle schüttelt die Betten; im Schneetreiben frieren die Hände an den Taschen an. Wohl dem, der eine Dackelfellmütze trägt. Immer wieder versucht das Publikum sich in sibirischer Standfestigkeit, mal sind es hundert, mal fünfzig, dann wieder mehr, doch es ist einfach zu kalt, dem gesamten Set zu folgen. Selbst Moderatorin Griseldis Wenners Gedanken mögen beim Versprecher  „Wir sind gegen Menschenrechte“ dem Frost geschuldet sein. Wenig später die Korrektur, ein Grog muss her. Schließlich können Pratajevs Weisen nur aufgetaut zu Gehör gebracht werden.

Open-Air-Minusrekord – das wahrlich nun aber wirklich (zuletzt schmückte ein Großenhainer-Tourtagebuch aus dem Feburar 2012 sich mit dieser Überschrift) „Kälteste Konzert der Russian Doctors“ steht kurz vor Ultimo. Fürst Fedja bricht den ersten Rekord. Fünf Doctors-Konzerte am Stück! Dafür gibt es auf dem nächsten Pratajev-Kongress das Holzlöffler-Verdienstkreuz am Bande mit Fischschleife dran. Dann will der MDR ein Interview führen, live für den Sachsenspiegel, doch auch in dieser Angelegenheit verliert man sich im Froste. Es folgt ein Sprung auf die Bühne, Doktor Pichelstein greift, nach Verlust des Mantels, zum wärmenden Neman Grodno-Eishockey-Shirt, Doktor Makarios spricht, beginnt das Set und die Gitarre fängt gleich Feuer. Der Funke springt mit den „Veterinären“ aufs tapfere Publikum über. 30 Minuten wird gespielt, gesungen, rumpftanzend bewegen sich die Menschen und vor allen Dingen sind sie LAUT, was ja Ziel des Abends ist. Über den „Käferzähler“ geht’s zu den Tierliedern bis an die „Schnapsbar“.

So schnell, das darf mit Fug und Recht behauptet werden, wurde nie zuvor in der Leipziger Innenstadt Gitarre gespielt. Vielen Dank, lieber Sebastian, für die Einladung. Und beim nächsten Konzert der Doctors haben wir Frühling. Wehe, wenn nicht!      

Du bist zwar noch nicht so alt – aber als Pferd wärst du schon Seife (270)
30. März 2013, Roggenstorf/Fritz-Reuter-Haus

„Wo mag es denn nur zum Fritz-Kräuter-Haus gehen?“ Als sich die Russian Doctors diese Frage am Ostersamstag stellen, ist es bereits Abend, stecken fünf Stunden Fahrt in den Knochen. Der einzige Raststättenstop, inmitten des Neue-Perspektiven-entdecken-Landes Brandenburg, führte lange vorab erneut zur Lokalkolorit-Erkenntnis, dass es nicht nur in Sachen Flughafen verbesserungswürdiges gibt, nein, auch der Sektor des Kaffeekochens gehört absolut neu überdacht. Da müssen Expertengremien ran! Die Brühe schmeckte so schlimm, dass Doktor Pichelstein nach dem Hinunterkippen reflexartig in die Talcid-Arzneikiste griff, Doktor Makarios, als der Weisheit letzten Schluss, den Becherinhalt nur halb in sich hinein goss, aus dem Rest braunen Schnee produzierte. Denn nein, nichts ist es mit dem Frühling. Der wissenschaftlich herbei gepredigte Klimawandel scheint in völlig konträre Richtungen abzudriften. Während der Gesamtreise schneite es, an den Straßenrändern türmten sich die Wehen teilweise einen Meter hoch. Zugvögel, vor allem nach Erreichen der kulinarischen Leckergrenze von Mecklenburg-Vorpommern, sah man recht ratlos übers eisige Brachland staksen, Rehbraten taten es ihnen gleich; Doktor Makarios deutete auf einen Himmel voller Gans-Formationen. „Tschüss, es geht wieder zurück nach Süden, vielleicht bis Portugal.“

Unter diesen Eindrücken, die Bundesliga-Konferenz bis zum Ende verfolgend, bog man schließlich ins Ländliche ab, Richtung Grevesmühlen, Roggenstorf. Unweit der heilvollen Ostsee, bei Travemünde. Immer den traktornen Streufahrzeugen hinterher, im dichten Schneetreiben. Und so folgte, wie mit den Veranstaltern abgesprochen, das Navigations-Telefonat. Fritz-Kräuter-Haus also, da soll’s hingehen. Nach wenigen Kurven wird aus Kräuter schließlich Reuter; einige Dörfer weiter, in Stavenshagen, stand nämlich die Wiege des Mundartdichters mit Vornamen Fritz. Alles klar. Auf zur mehrfach 30er Jahres-Party. Koffer, Hinstells, Gitarren ins Haus. Ein großes Hallo folgt, erste Getränke werden kredenzt; voller Bewunderung und Ehrfurcht  dreht sich am Spieß ein ganzes Dorfschwein. Herrlich, so war es, so muss es bei Pratajev gewesen sein. Makarios und Pichelstein, beim Anblick des gesamten Ensembles, samt versammelter Mannschaft, freuen sich hungrige Löcher in die Bäuche. Das urig-schöne Nachtlager wie Ferienhaus Walnuss, im benachbarten Rankensdorf verortet, wird inspiziert. Danach gibt’s Schwein, Kräuter aus dem Wald, einen kleinen Soundcheck und wieder Schwein. Lecker. 

Den anwesenden Geburtstagskindern wird honoriges Liedgut zu Gehör gebracht; die Wände zieren nur beste Glückwünsche. Ein Laken ist besonders hübsch bemalt. Es trägt die Inschrift: „Du bist zwar noch nicht so alt – aber als Pferd wärst du schon Seife“. Ballons platzen an tollenden Kindern darüber; das ganze Dorf; geschätzte 100 Menschen, säumen den Saal. Noch ein Stück Schwein an Sauerkraut, dann gibt’s den ersten Pratajev-Satz. Die Stimmung wächst mit jeder Weise; Doktor Pichelstein wird schnellster Gitarrist von ganz Nordwestmecklenburg. Alles noch steigerungsfähig bis zum Diskant, keine Frage. Doktor Makarios muss erst mal einen kleinen Zwist schlichten. Denn das früh gewünschte Lied „Der dumme Nachbarsjunge“ hat nichts mit der hiesigen Nachbarschaft gemein. Schließlich hat’s Pratajev in den 50er Jahren verfasst. Der jüngste Russian-Doctors-Fan, versehen mit einem schicken Shirtlatz, bekommt wenig später, unter großen Mädchenaugen, Autogramme geschrieben.  

Doktor Makarios nippt in der Disco-Tanzsause an Milchschnäpsen, schafft den Becher in wenigen Zügen und wundert sich: „Mein Doktor, furchtbar, ich bin schlagartig betrunken.“ „Das muss an der Milch liegen.“ Derweil werden Pichelstein Vorzüge finnischer Metalbands näher definiert; gemeinsam wird darunter das Handzeichen „Shocker“, unter Bedeutungshoheit „Two in the pink, one in the stink“, geübt. Es soll sogar entsprechend farbige „Shocker-Handschuhe“ geben, um das damit verbundene Anliegen, vielleicht nicht unbedingt beim österlichen Kirchgang, einmal mehr und mitmenschlich zu verdeutlichen. Nach einem Disco-Fox für die Mütter geht’s mit den Russian Doctors weiter. Diesmal mit mehr Pegelkraft am Mischpult, allen Hits, die gen Bühnenplatz gerufen werden. Schnell, schneller, Pichelstein. Doktor Makarios‘ Stimme umschlingt dabei die seines Gitarristen, Saiten bersten, die rasanteste „Schnapsbar“ seit Einführung dieser Pratajev-Lyrik ins Programm  wird geboten und dann muss es nach einigen Zugaben gut sein. Zurück geht’s ans Buffet, noch mal schnell vom Schwein es Stück, dazu Kräuter aus dem Wald, Kaltgetränke, ab ins Taxi. Die Walnuss wartet, der nächste Tag bringt die Sommerzeit, doch auch während der Rückreise wird davon nichts zu sehen sein. Ganz im Gegenteil. Ein großer, lieber, warmherziger Dank an die Küste! 
  
Betreuter Ausschank mit Gurke (271)
05. April 2013, Jena/Musikkneipe Alster

Der Frost frisst die Straßen, möchte man meinen. Großen Appetit verspürte er zuletzt in Leipzig und schlug die Zähne kräftig in die Betonbetten hinein. Manche Löcher sind derart groß, da ließe sich was mit Fischen und Anglern machen. Doktor Pichelstein sieht sich also gezwungen mit dem Tourauto Slalom zu fahren. Ein Unterfangen von wagnerhaftiger Tragik, im klassischen Sinne. Während draußen fieskalter Schneegriesel am demolierten Selbstbewusstsein der Stadtbewohner nagt. Bestimmt werden zu dieser Jahreszeit gerade Bücher mit Titeln wie „Der Glamour des Verfalls“ oder „Als ich das Ponyfellsofa nie wieder verlassen wollte“ in der Szene geschrieben. Doctor Makarios hält hingegen die Fahne des Optimisten hoch. Zwei Wetterberichte werden seit Wochen täglich zu Rate gezogen. Der eine verspricht stets gar nichts Gutes, der andere weckt Hoffnungen auf Sonne, Biergarten und Grillbesteck in Händen. „Ich nehme jetzt immer die Mitte, das passt dann meistens“, so der Sangesdoctor zum Gitarristen. 

Auch nach Ankunft in Jena, dasselbe Bild: Slalom im Audi-Super-G, deprimierte Einwohner. Doch das muss nicht mehr so bleiben. Verschieben sich die Frühblüher bisweilen noch ein wenig nach hinten; The Russian Doctors sind in der Stadt. Die Rettung, die Heilung geruht zu scheinen. Mögen körpereigene Morphine darunter Sonnen in manches Herzelein tragen.

Nach zähem Eincheck ins IBIS (umdisponieren auf Raucherzimmer  - ja, die gibt es tatsächlich noch) werden Koffer und Gitarren in die Krautgasse 22 verlagert. Schwupps gibt’s das erste Rosenschwarz aus der Flasche, erklären sich 50 anwesende Prozente des Majorlabels fortan bereit, täglich, weil aus beruflichen Gründen, Kinderlieder anstimmen zu wollen. Da können Doctoren nur zustimmen, während der Alster-Chefwirt mit den Tücken der Knopfvielfalt am Mischpult kämpft und zunächst kurzfristig als Sieger von der Bühne geht. Nach dem Soundcheck heißt’s: Mal schauen, wer alles schon da ist. Noch wird draußen geraucht, also auf zu Pratajevs Jeaner Forscherfreunden. Frau Polenz sei im Besonderen genannt, dann die lieben Menschen aus der JG. Lothar König lässt Grüße übermitteln. Nichts wie an die Schnapsbar: ein Toast, ein Hoch, eine Solibekundung. So geht das in Russland. Und natürlich auch in Jena, im Alster. Die Treppenstufen knarren, eine Fata Morgana namens Peter aus Wismar geht hinauf und kommt nie mehr wieder, wird verschlungen im Gewühl. Denn proppevoll ist’s mittlerweile; erste Gurken werden den Doctoren nach Verspeisen feinster Italo-Küchenleckereien gereicht.

Eine Gurke ist ein Glas Wodka mit zwei Gurkenscheiben dran, das wollen wir nicht nur am Rande erwähnen, denn in den folgenden Stunden gurkt es ungemein. Man nennt es „Betreutes Trinken“ – genau so wurde es schließlich auch in der lokalen Prawda angekündigt. Dann rauf auf die Bühne, das Intro läuft, nur hat sich einer der unzähligen Schaltknöpfe derweil selbst den Status „Mute“ verpasst und das im Generalmodus. Den Übeltäter zu finden erfordert Geschick und Gurke; die Spannung steigt wie in einer Mondrakete. Da schwebt sie schließlich aus den Boxen: „Die Schöne aus der Stadt“, die „An ihrem Garten“ so manches erlebt, womit der erste Spieldurchgang beginnt. Und man darf es voraus nehmen: Doktor Pichelstein scheint derzeit in der Form seines Lebens zu sein; selbst zartere Pratajev-Weisen werden in ein Tempo gelenkt, das es gar dem Sangesdoctor darüber ab und an die Sprache verschlägt. Dazwischen und immer gibt es Gurke, heftige Zustimmung im Publikum und manches Glas zerscheppert darüber auf dem Boden.

Nach der Pause rasen die Kapriolen weiter durchs Alster. Der lokale Depressionsgenerator „Wetterfühligkeit“ verstummt und lässt den Jubel branden. Unterm Bild der Mona Lisa ist alles gut und gerecht, folgt der Wunschzugabeblock und nur „Der Hund ist nicht das Schwein“ muss unberücksichtigt bleiben. Lieblingslied eines Zimmermanns aus Gotha, den es einst in die Weite der schönen Welt hinaus trieb, allerdings ohne vorher der Freundin darüber Bescheid gegeben zu haben. Mal schauen, ob sie noch da ist, die Freundin. Darauf eine Mutgurke und noch eine – für den Zimmermann. Doctoren schwenken um auf „Tonic mit was drin“. Es ist die Sonne der Nacht, sie ist braungelb und lacht.

Ein Traum aus Apfel, Sahne und Zimt (272)
06. April 2013, Torgau/Kulturbastion 

Im Kaffeehaus Gräfe, am Johannisplatz zu Jena, lässt man sich gerne nieder. Außerdem schmeckt’s Frühstück hier weitaus besser, als im Hotel. Einerseits, andererseits schlägt die Uhr bereits zur Mittagsstunde und wer will sich da lange vorher für harte, kalte Eier an den Restbeständen des Buffets abhetzen? Hier rennt nur eine rum, Kellnerin Sabine. Wie eine flinke Streifenmaus von Tisch zu Tisch, runter zur Theke, rauf zu den Gästen. Allein beim Zusehen gerät man völlig außer Atem und bekommt Seitenstechen. Nach Verzehr des ersten Ganges ordert Doktor Makarios Petit four in der Mehrzahl. Unter stoischer Kaffeezufuhr steht dem Wachwerden, nebst  langsam anschwellender Teilnahme am geistigen Leben, bald nichts mehr im Wege. Die Fahrtüchtigkeit dürfte somit gegeben sein; es geht über Leipzig vorwärts nach Torgau. Beschauliche Stadt, eine geballte Bastion an Kultur darin. Genau dort, in der Kulturbastion, soll heute konzertiert werden.

Immer war die Gastfreundschaft unter Torgau-Konzerten ein Genuss; bisweilen gastierten die Doctors bereits einige Male im Brückenkopf. Auch in der Bastion wird lecker aufgefahren, was Wanderer, Reisende, stets hungrige wie durstige Musiker gerne benötigen, um zu späteren Stunden frisch ans Werk gehen zu können. Man sollte das nicht unterschätzen – je schöner die Umstände, desto glücklicher der Unterhaltungskünstler. Es muss ja auch nicht immer ein ganzes Schwein am Spieß sein :) Nun denn. Auch die Technik passt; der Soundcheck spielt sich quasi wie von selbst. Nichts wie zurück ins Backstage; erste Pratajev-Forscher werden geherzt. Brotnowaljow Numski Guinnessoff, sonst um diese Tageszeit im Wirtsleutejob des Wittenberger Irish Harp Pub anzutreffen, hat sich extra frei genommen. Schwarzbrennermeister Gurt Kaktus präsentiert neuste Erzeugnisse aus der Schnapsforschung. „Nacktschnecke“ und „Miloproschenskojer Schnapsteeschnaps“. Allenthalben werden die edlen Tropfen verkostet.

Sehr gute Jahrgänge; in der önologischen Weinsprache stünden jetzt Bezeichnungen wie üppig, reich, weich oder gleich ganze Sätze wie „Beim Abgang sehr kuhsattelig“ im Fokus des Lobes. Brotnowaljow Numski Guinnessoff und Doktor Pichelstein stoßen an. Leckere Rouladen verlangen sanfte Nachspülungen. Zuletzt staunt der schnellste Erlenholzgitarrist nicht schlecht; als hätte sich die zuletzt in Leipzig grassierende Becherovka-Knappheit im Kaufland an der Dresdener Straße herumgesprochen. Boris Brutalowitsch und Gattin überreichen doch tatsächlich eine Karlsbader Flasche. Ist denn schon wieder Väterchen Frost?

Schließlich erscheint sie am Horizont der Bastion, die Torte zum 10-jährigen Bestehen der Russian Doctors. Ein Traum aus Apfel, Sahne und Zimt als weiteres Produkt aus dem Hause Gurt Kaktus. Doch dazu später; erst einmal will ein Konzert gespielt werden. Um 22:30 Uhr ist’s so weit. Selbst mit dem Taxi aus Wittenberg und, bemerkenswert, aus Wismar reiste man zu diesem heiligen Zwecke an; heute ist die Fata Morgana des gestrigen Abends also tatsächlich da.

Gleich zu Anfang jubelt sich der kleine Saal an der Schnapsbar kräftig durch. Die pfefferminzlastige Getränkeversorgung der Doctoren übernimmt ein gestandener Blueser gleich aus dem eigenen Flachmann. In immer kürzer werdenden Abständen taucht die Flasche aus Stahl, zum Zwecke der Entleerung, vor den Mikros auf - der Inspirations-Spiritus zeigt Wirkung. Doktor Makarios und Doktor Pichelstein haben großen Spaß, feine Pratajev-Anekdoten funken und irrlichtern durch die Runden. Die Gitarre ist mal wieder kaum zu bändigen. Manche im Publikum lächeln darunter fein und wissend, andere rasen, toben oder fallen bereits in sich zusammen wie ein Soufflé. Dann geht’s in die Pause, an die Schnapsbar, auf Ledersofas. Doktor Pichelstein erfährt eine Menge übers harte Los der Punks in Torgau und widmet sich einer Gruppe von Ausbildungsschülern, Sektion: Steuerrecht. Die haben es auch nicht leicht, wenn man ihnen die Schnapsfasche reicht.

Weiter geht’s im Pratajev-Crashkurs. Das Intro der letzten Feldmänner-Tour läuft, russisches Landleben entfaltet sich vollends. Da es den Russian Doctors möglich ist, aus einem Liedtresor von geschätzt 80 bis 90 Titeln auszuwählen, zählt man mal das ein oder andere Giftschrank-Demo hinzu, krempelt sich das geplante Set zusehends um, darf natürlich der „Raucher von Bolwerkow“ nicht fehlen, auch nicht „Gelber Schnaps“ oder „Frauen die wie Katzen kreischen“. Mittlerweile ist der Zugabeblock eingeleitet worden, heftige Rumpftänze sind die Folge, finden ihre Meister in der Bluesfraktion. Doktor Pichelstein spielt weiterhin, als wäre er vor einem Feuer auf der Flucht und so brennt der Schnaps in den Kehlen, tost das Publikum, fordert das großartige, intensive Konzert seinen Tribut. Die erste Stahlsaite reißt, eine Weltpremiere folgt: Es ist die A-Cappella-Version der Schnapsbar. Dann nichts wie runter von der Bühne. Zwischen Tortenverkostung und Centralhotel vergehen weitere Stunden -  in der Punkrockhauptstadt Torgau wird, was im Backstage zu beweisen ist, dafür immer auf Teller und Gabeln verzichtet. Es tropft die Sahne, der Nacktschneckenschnaps hält fit. Was für ein Abend. 

Tortenschachtellampen sind wahrlich visionär (273)
19. April 2013, Wittenberg/Irish Harp Pub

Beginnen wollen wir die Aufzeichnungen des vergangenen Tourwochenendes mit einem Prolog sowie einem Intermezzo.

Vor der Tour (Prolog):  

Drei Flachetappen stehen vor dem Team der Russian Doctors. Doping ist ausdrücklich erwünscht, wenn heute, am 19.04. gegen 21:00 Uhr die Ziellinie im Wittenberger Irish Harp Pub erreicht wird. Am 20.04. zieht es das Fahrerfeld nach Birkholz zu einer privaten Sonderwertung und am 21.04. werden die Russian Doctors nach großem Finish im Berliner Duncker-Club das Podest erklimmen. Die Siegerehrung beginnt pünktlich 20:00 Uhr innerhalb der Schönegeistershow, um danach in den Ball der Wodkasportler überzugehen.

Doktor Makarios

Nach zwei Konzerten (Intermezzo):

Das vergangene Wochenende hat meine Lebenserwartung um einige Wochen verringert, aber was soll's... selten so viel gelacht und jede Menge Spaß gehabt! Danke an alle die dabei waren!

Brotnowaljow Numski Guinnessoff

Die Sonne über Leipzig strahlt noch ein wenig gelber, als Fürst Fedja Doktor Pichelstein bereits vor der Abreise nach Wittenberg verpackte Schokolade mit dem Konterfei der 2014er IIHF-Weltmeisterschaft in Minsk überreicht. Herrlich, eigentlich, wenn es nicht so weit wäre, müsste man da ja hin, keine Frage. Mit einem, wenn auch kleinen Beitrag zur sehr in Mode geratenen Steuerhinterziehung zwischen den Lippen schmaucht es sich fortan erst mal gen Wittenberg, in die lutherane Biberstadt. Der Meister der Schankwirtschaft, Brotnowaljow Numski Guinnessoff, lädt ein zum „Kleinen Pratajev-Kongress“. Die Örtlichkeit, das Irish Harp Pub, wurde dafür bis an die Zähne bewaffnet mit leckeren Getränken. Sogar Zauberzigarren befinden sich im Sortiment, die sich sogar am nächsten Tag noch aus Lederjackenaußentaschen ziehen lassen. Wenn auch nicht mehr in vorab dargereichter Form.

Die Bühne, mittlerweile mit Kisten und Gitarren beladen, schweigt bisweilen jungfräulich. Erste Gläser Guinness sind verzapft, schon tritt Winogradow den Pratajev-Forscherbeweis des Tages an. Die Flasche Rakija, gefüllt mit selbst Gebranntem aus Bulgarien, zerschellt, lässt man sie schüttellähmend fallen, nicht auf dem Boden, denn sie ist aus Plastik. Oder Plaste, wie der Sachse sagt.

Der Sachse wird an diesem Wochenende viel sagen, belassen wir es erst einmal damit. Eademakow tritt derweil den Zweitbeweis an, dass heute und unbedingt „Jeder Schluck ein guter Schluck“ sein wird und B.N. Guinnessoff bietet ein obskures Tortenpaket feil. Drin befinden sich, neben einer Postkarte von Peter Richter, zwei professionell zu betreibende Lampen mit Batteriebetrieb. Adressiert an die Russian Doctors. Na, was will man mehr? Darauf hübsch ein Kaltgetränk, einen Sound- wie Pensionscheck.

Doktor Pichelstein wird derweil Flüssigeintopf mit Wodkageschmack überreicht;  Schenker Eademakow trägt sich mit dem Gedanken, heute ein selbst gehandarbeitetes Schwesternkostümchen ans Revers zu heften. Warum es nicht dazu kommen wird, weiß allerdings nur der Wind.  Dr.h.c.mult. Mary Fiction erkundigt sich an der Schnapsbar nach tragfähigen Biersorten. „Und dann noch Waidbauer“, entgegnet der Kellner. „Was?“

Gespräche dieser Art zwischen Sachsen-Anhaltinern und Berlinern sollen schon zu heftigen Dissonanzen geführt haben, denn der Berliner versteht dann eben „White Power“. So ist aber alles gut, der Kellner kichert und die erste Runde Bulbash, kredenzt vom Fürsten, rundet sich in Maximalschlucken auf; Winogradow ermahnt Eademakow, das Glas vollends auszutrinken, bevor es wieder warm wird. Schon ist’s gekippt und ersterer wischt sich letzte Tropfen von den Lippen.

Nach all diesen und weitaus uferloseren Episoden, unter denen sich so mancher Lachmuskel mit der restlichen Gesichtsknorpulatur im Klinsch befindet,  werden die Gläser gen Nordsachsen gehoben, wo der heute sich im Krankenstand befindliche Forscher Gurt Kaktus das Lager hüten muss. So fällt u.a. eine der immerhin drei geplanten Verkostungen hochgeistiger, pratajevlastiger Getränke aus. Andererseits könnte auch gefragt werden, was wohl geschehen wäre, wenn zu aller Trinkbarkeit noch berühmte Kaktus-Sorten wie „Flying Helga“ oder „Pratazotti“ hinzu addiert worden wären. Man will es sich gar nicht vorstellen; Wittenbergs Innenstadt, in der  noch echt-seltenrunde Außenfenster verbaut wurden, sähe heute gewiss ein wenig anders aus.  

Doktor Makarios erblickt unterdessen von Ferne eine Gruppe dem Pub zustrebender Lehrer, die wenig später verkünden, im Laufe des Abends dem Ganzen unbedingt bewohnen zu wollen. Ebenso erfreut sich die Gemeinde über das Erscheinen von Peter Richter aus Wismar. Ein großes Hallo dem Visionär, denn die Idee mit den Lampen sollte sich im weiteren Tourverlauf noch als äußerst nützliche Erscheinung anbieten.       

Das Konzert beginnt feucht, fröhlich, rasant. Gleich zu Beginn hagelt es gelben Schnaps. Doktor Pichelstein ist verzückt, Doktor Makarios führt die nächtlichen Bewohner des Irish Harp auf Pratajevs Reisen. Links wie rechts und geradeaus sprengt die Zustimmung Bände. Leckeres Astra perlt auf der Bühne nach innen, während es nach außen nur so strömt. Dann wird pausiert, treten die Pratajev-Gladiatoren Winogradow und Eademakow in den Ring und präsentieren eine teils bulgarisch, teils deutschübersetzt tönende Ballade über ein Schicksal am Strand von Irakli. Die Worte Eademakows „Nun trag ich dein Kind im Bauche / Deinen Verrat im Herz / Schnaps ich trink und Tabak rauche / Es bleibt nur noch Schmerz“ zu den Gitarrenklängen des Winogradow lassen Blumen sprießen und auch welken. Die Doktoren nicken zustimmend, rasch geht’s in der Folge weiter, denn auf einem „Kleinen Pratajev-Kongress“ will unbedingt und immer ein Geschwindigkeitsrekord auf der Akustikgitarre gebrochen werden. Das Rennen entscheidet eindeutig die „Harte Wirtin“ für sich. Doktor Pichelsteins Finger und Handgelenke wirbeln, als gäbe es kein Morgen, doch zur Belohnung einen Schnaps.

Die Lehrerschaft, mittlerweile Teil des Gedränges, beinhaltet, zum Erstaunen des  Dr.h.c.mult. Mary Fiction, sogar eine Schulsekretärin namens Sabine oder hieß sie doch anders? Jedenfalls bekommt sie Berliner Komplimente und lächelt ganz stolz. Der Pratajev-Reigen befindet sich mittlerweile im Zugabeblock bei „Wünsch dir was“, unterbrochen von zigmal „Schnapsbar“. Die Spendendose für die notleidenden Wirte von Miloproschenskoje lässt keinen Tauschhandel zu. Das Volk dankt B.N. Guinnessoff für die Realisierung eines äußerst gelungenen Abends und darf sich ruhig ärgern, den verpasst zu haben. Lang ist nicht zu Ende; selbst kurz vor Toreschloss wird Doktor Pichelstein noch in die so genannte „nächste Kneipe“ verschleppt. Im Wissen, die Pension keinesfalls im Alleingang wieder finden zu können. Und während Winogradow dortselbst, vom Publikum angefeuert, zur Gitarre greift, kreist das letzte Kaltgetränk im Kopfe.           

Sonja oder Sabine und nicht Anke Wolf. Oder: Der betrunkene Hund. Oder: Ein Mann ohne Bauch ist wie ein Haus ohne Garten. Oder: Schlips aus Nille (274)
20. April 2013, Birkholz/Haus- und Hoffest

Während sich im fernen Bayern Präsident Hoeneß kräftige Wurstwasserduschen gönnt, gibt’s Frühstück im Pensionshaus. Die harte Wirtin fragt streng in die Ecktischgemeinde hinein: „Wer war gestern der Letzte?“ Betreten schaut man drein. Selbst die Uhren schweigen. Obwohl es hunderte davon im Speiseraum gibt. Winogradow geht dazu über, Doctor Pichelstein in Weckposition zu bringen. Das Telefon klingelt, der völlig zerknautschte Gitarrendoc nimmt Worte wie Aufträge aus teleskopischen Fernen war. Einer besteht darin, Dr.h.c.mult. Mary Fiction Leben einzuhauchen. Schließlich geht’s Frühstück nur bis um Zehn und der harten Wirtin gelüstet es, den Schuldigen, den Letzten zu tadeln, wenn nicht gar zu peitschen. Denn – wer es auch immer war - ließ das Tor nächtens offen stehen und belud's trunkene Gewissen mit fallenden Wandbildnissen.

Derweil erscheint Pichelstein auf der Bildfläche, hatte keinen Erfolg im Weckerjob. Die harte Wirtin will es besser machen und besiegelt schließlich das Schlafschicksal des Dr.h.c.mult. Mary Fiction. Die Pratajev-Entourage I, nun vollzählig versammelt, versucht sich im Vergangenen, nicht in der Historie, so doch an der Wundertüte gestrigen Erinnerns. Bis zum Aufbruch gemahnt wird, schließlich will gewusst werden, wie es der Entourage II nach dem Aufbruch aus dem Irish Harp, resp. Teehaus Protnik, gerade geht, ob Sinne und Morgenglück bereits am Kaffeetopf saugen. Treffpunkt ist der Ort des Kleinen Kongresses, bis dahin versucht man sich im Sightseeing. Doch selbst kleinste Ideen wie „Ich geht mal zur Bank Geld holen“ (Eademakow) scheitern in ihrer angekündigten Umsetzung dergestalt, dass am Ende nur noch Platz genommen werden kann. Beim Italiener werden Kaffee und Elektrolyte geordert. Winogradow leidet still in sich hinein. Am fittesten erscheint Doctor Makarios und an den Wänden kleben Plakate, neue Thesen mit der Aufschrift „Jesus kommt auch zu Dir“. Eine nette Geste, Männer mit Klobrillenbärten huschen daran vorbei. Reiher ziehen über der Stadt auf der Suche nach dem nächsten Fischmarkt.

Fürst Fedjas Entdeckung des Spätmorgens: die nächtens noch ins entferne Schankwirtschaftsheldenheim des Brotnowaljow Numski Guinnessoff schwer getragene Rollreisetasche lässt sich prima hinter sich her ziehen. Ein Handgriff reicht, schon geht das. Guinnessoff selbst trägt eine schwerkalibrige Sonnenbrille; Handschläge müssen verrichtet, Möbel verrückt und die Anlage verstaut werden. Doktor Pichelstein würde gerne mit anfassen, nur lähmt der Gedanke, gleich fahrtüchtig ins Auto steigen zu müssen derart, dass das nicht klappt. Winogradow betreibt unterdessen Selbstheilung, stärkt sich mittels Chinasuppe. Farben kehren zurück, dorthin wo gestern noch welche waren. Und eine kleine, mittelalterliche, gestrig anwesende Reisegruppe ruft ins Pub, Finger Richtung Doctors zeigend: „Guck an, die sind ja immer noch da“. Mittenmang reift ein wohl überlegter Entschluss des B.N. Guinnessoff. Auf nach Birkholz, ins Brandenburgische. Nur Dr.h.c.mult. Mary Fiction muss heimwärts. Entourage I: Seichte Fahrt voraus, mit Stopp am Bahnhof Königs-Wusterhausen. Entourage II: Fürst Fedja am Steuer erst vor, dann hinterm Doctorenaudi. Jeweils im Schneckentempo, geschuldet höchster Konzentrationsgebaren des Gitarrendoctors. Zeitweise fährt Pichelstein so langsam, dass Navi-Doctor Makarios die Kreuzinschriften am Wegesrand lauthals rezitieren kann. Sätze wie: „Aha, der Kevin“ – „Und hier, die Simone“, lassen das ausgeschaltete Radio bis zur Bundesligakonferenz vergessen. Die Miniatur-Friedhöfe an den Dorfalleen wurden zudem hübsch hergerichtet mit Blumen, Kerzen und frisch vom Jahrmarkt geschossenen Kuscheltieren. „Daniel und Mandy“. Wobei Daniel ein recht kleines Kreuz geschnitzt bekam, Mandy hingegen ein größeres. Vermutung der Doctoren: Daniel saß am Steuer, als der Baum immer näher kam, trug große Schuld auch am Tode der Mandy, deren Freund Rico nun die Jaqueline vom Daniel tröstet. Einer muss es ja tun. 

Ja, man spinnt so vor sich hin, hungrig ist man auch, schließlich werden auf der Landkarte deklarierte Straßen zu Privatwegen. Legebatterien voller Schlaglöcher tun sich auf; die Szene gemahnt an einen Truppenübungsplatz. Jeden Moment müssten russische Panzer vorm Auto auftauchen. Dann: ein Ort mit Restaurant an einem nicht näher inspizierten Gewässer. In Zesch am See wird wenige Kilometer vorm Ziel getafelt was das Zeug hält.

Die Ankunft bei Haus und Hofe in Birkholz lässt beide Entouragen wieder verschmelzen; die verehrten Kalf und Chrissi stehen zur Umarmung bereit. Großes Hallo! Der Abend geruht zu beginnen; die Festgemeinde vergrößert sich mit jedem Toraufschlag. Hähne krähen, Schafe blöken um ihren kritisch dreinschauenden Bock. Die Leichtigkeit des Seins erfasst einen sofort an diesem Ort der Labsal und Muße. Irgendwer gemahnt stets, doch langsam Gitarren und Koffer auf die hübsch angerichtete Freilichtbühne zu tragen. Doch Doctor Pi bietet Faulheit feil, sagt Sätze wie: „Man muss sich erst langsam ans erste Bier heran tasten. Das lässt sich nicht so einfach stürzen“. Ein Promillen-Hund, der diese beiden Sätze leider nicht versteht, huscht vorbei und wird zum Freund.

Als die Bühne gebaut, erste Schalen an Köstlichkeiten im Kollektiv genossen wurden, wird aus Sonja oder Sabine plötzlich nicht Anke Wolf. Denn wenn sich Berliner und Sachsen sprachlich duellieren, aus „angewolft“ Anke Wolf wird, wobei „anwolfen“ bedeutet, dass ein Mann eine nicht immer hübsche Frau (sagen wir mal) „anbaggert“, sprießt’s Gelächter in die Gesichter wie leuchtende Gloriolen. Und einmal damit angefangen, gibt’s kein Halten mehr. Pichelstein erhält Nachhilfestunden in Sachen „Sächsisch für weltweit Fortgeschrittene“. Makarios, Fürst Fedja sind in einem derartigen Element, dass dem Ansbierherantrinker ganz schwindelig wird. Was eine Nille ist oder dies oder das – ratlos zucken die Schultern. Aufklärung folgt indessen rasch. Winogradow zommt aus dem Handtelefon Hilfsdateien herbei und aus einem Schlips aus Lurch wird eben einer aus Nille.

Nach dem Soundcheck geht’s gleich weiter, werden bewegende Themen und Projekte besprochen. Wieder einmal steht der Jahresbildkalender „Katzen im Straßenverkehr" Pate, Wahl der Monatsmisskatze eingeschlossen. Eademakow und Winogradow tun sich besonders in der Feminisierung maskuliner Substantive hervor. Ein ums andere Male, eigentlich stets und ständig, bewegen sich die Entourage-Protagonisten Richtung bestens gefüllter Schnapsbar. Besonders der Weg zu den Whiskeysorten hinterlässt wahre Trampelpfade. Gelbe Schnäpse lagern derweil im Eisfach, denn gleich soll’s starten, das Gartenkonzert und wer die Doctoren kennt, der weiß, womit man ihnen Gutes tut.

Vor der Bühne sind nunmehr alle versammelt; los geht’s mit den Erben Pratajevs. Die Luft ist geschwängert von Substanzen, die Kinder tanzen mit dem Club der schönen Mütter ums Feuer. Wieder gelingt ein Gitarrenweltrekord. „Schnellster Gitarrist von Brandenburg“. Gegner sieht man keine. Nur Sebastian Vettel überholt von Ferne mit seinem Brauseauto. Aber das zählt nicht. Was allerdings zählt, mit einem Male, das sind zwei entsetzte Kinderaugen. Tränen kullern, denn soeben stimmte Doctor Makarios die Pratajev-Weise „Tote Katzen im Wind an“. Was man alles so anrichtet im Kinderherzen. Aber das Leben ist kein Ponyhof, oftmals hängen sogar auf Ponyhöfen Katzen an Birken herum. Der Rest vom Fest wiegt Rümpfe, trägt Schleim am Arm; der gelbe Schnaps paart sich mit dem Weißen aus entfernten Republiken. Oder aus dem Netto. Man weiß das immer nicht so genau.

Je dunkler es wird, desto näher rücken die Doctoren ans Feuer heran. Katzenaugen kleben am Mikroständer, damit Pichelstein einigermaßen weiß, wohin die Finger greifen müssen. Und wenn sie doch mal danebenliegen, macht das alles nichts. Denn der Abend, die Party, das feine Beisammensein gipfelt von Minute zu Stunde vor sich hin. „Der Bauch“ gelangt zu Gehör und aus dem Club der schönen Mütter folgt ein durchs Mikro gesprochener Satz: „Ein Mann ohne Bauch ist wie ein Haus ohne Garten“. Sofort recken alle Männer ihre Bäuche stolz und erhobenen Hauptes ins Feuer. Eine Performance, die gar nicht besser hätte einstudiert werden können - Youtube, wo warst du, als man dich wirklich brauchte? Dann folgt die finale Schnapsbar, nimmt alles seinen schwankenden Gang, seinen tönernen Lauf, füttert Winogradow den Grill mit Steaks und prächtigen Würsten. Doctor Pichelstein hält sich zuletzt am besungenen Ort fest, kann die Lieblingssorte Whisky nicht ertasten, nicht erahnen. Eademakow tritt helfend auf den Plan, gießt ein.

Der Hund ist betrunken, die meisten anderen ebenfalls. Auch Guinnessoffs befüllter Schlafsack regt sich nicht. Nur keiner hat es so schwer wie der Gitarrendoc, denn der muss jetzt in die Kammer hinauf, über Stufen kriechen. Doctor Makarios bettet ihn sanft und Fürst Fedja entdeckt eine volle Flasche Russensirup. Wie heißt es so schön auf den Eishockeyrängen, beim Bully? "Hinein, hinein".  

Dynamo! Im Autokorso der Eisbärenfans (275)
21. April 2013, Berlin/Dunckerclub 

Langsam erwachen die Gemüter; Doktor Makarios ist bereits ein wenig länger unterwegs an frischer Natur, als sich Fürst Fedja zur Ruh begibt. Doctor Pichelstein hilft mit einer Anti-Russensirup-Talcid-Kautablette aus. Ein erster Versuch, den Dingen des täglichen Lebens folgen zu können, misslingt kräftig. Also wieder hoch in die Kammer, Augen zu. Beim nächsten Aufstehversuch wird draußen bereits heftig am Frühstücksbuffet gewerkelt. Kalf, Chrissi, Guinnessoff, Winogradow, Makarios, Eademakow und all die Verbliebenen lassen den Abend noch einmal Revue passieren. Worte wie „Dreilochstute“ fallen - kaum einer kennt mehr den Zusammenhang. Warum Sätze wie „Du grinst ja wie ein Schwein“ fielen, wer kann’s rekapitulieren? Nur, dass Peter Richters Lampen wahrlich von großem Nutzen waren, als sich der Merchkoffer in völliger Dunkelheit öffnete, wird als gesicherte Erinnerung in die Annalen der Nacht eingehen. Und natürlich die Randbemerkung, im Haus habe es nächstens aus allen Ecken und Winkeln heraus geschnarcht, dass die Wände wackelten. 

Einer der Gäste erhebt sich aus seinem schweren Liegewerk, spaziert vorbei am nach wie vor schwankenden Hund, biegt um die Plumskloecke. Deutlicher kann man nicht erbrechen. Darauf angesprochen, verschwindet er beleidigt unter den Worten: „Ich hab gar nicht gebrochen“ in eines der Autos. Es folgt: leckeres Rührei, viel Kaffee, noch ein Schläfchen. Herrlich ist’s, weil man hier ist, selbst Fürst Fedja erwacht nun. Guinnessoff fährt ihn zurück gen Lutherstadt, Heldentaten, so sehen sie aus. Wenig später brechen Winogradow und Eademakow auf in die Hauptstadt. In sechs Stunden startete das nächste Doctors-Konzert.

Die Zeit bis dahin scheint ausreichend. Makarios und Pichelstein, mittlerweile in Groß Köris, angekommen, dabei an wohl genährten Damen mit Hartz-4-Frisuren vorbeifahrend, gelüstet es nach Kuchen in der Sommerfrische. Im Hotelrestaurant „Zur Seeterrasse“ wird man fündig. Vorm Gebäck gibt’s Kartoffelsuppe, auf dem Wasser ramentern Enten, Seehühner und fischschnappende Raben. 

„Mein Doktor, was ist eigentlich eine Hartz-4-Frisur?“
„Das ist eine mit vorne kurzen, hinten langen Haaren und einem Klecks Leuchtstofffarbe in der Mitte.“
„Aha. Eine Discokugelfrisur. “
„Mit einseitigem Bart.“
„Wenn man so will, ja.“
„Wie sagt eigentlich der Brandenburger: Gabi geht geradeaus in ihren Garten?“
Und so weiter und so fort….

Kellnerin Heike, braungebrannt wie drei wasserstoffblonde Chicken Wings nach dem Solariumbesuch, trägt ertüchtigende Getränke herbei. Fein macht sie das. Und los geht’s, zum Endspurt auf die Hauptstadt. Der Dunckerclub ist das Ziel. Die sich darin verortete „Schoenegeisterschau - Ein Abend mit Pratajev und The Russian Doctors“ ein probates Mittel, um den Sonntag ausklingen zu lassen. 

Doch es dauert. Mehr als eine Stunde quält sich Doctor Pichelstein hinterm Steuer durch die Menschmaschine Berlin hindurch, stetig umsorgt vom Sozius Doctor Makarios. Die Cola ist lauwarm, die Sonne brennt gnadenlos durch völlig verdreckte Scheiben. Zäh wie Leder ruckelt der Verkehr. Was im Westteil, um den heutigen Aufsteiger Hertha BSC, geschieht (fanatischer Jubel um eine Fahrstuhltruppen-Fußballmannschaft mit dem Logo der Deutschen Bahn auf den Trikotagen), kennt im Ostteil dito keine Grenzen. Obschon die Sympathie für den frischgebackenen DEL-Meister Dynamo Berlin im Grunde groß ist, raubt das Mittendrin im Autokorso der Eisbärenfans wahrlich letzte Nerven. 

Völlig ruiniert erreichen die tapferen Erben Pratajevs viel zu spät die Dunckerstraße. Veranstalter Hendrik, samt bezaubernder Katzendame Sandra, werden begrüßt. Das Maximum an Erleichterung ist erreicht und potzblitz! Es dauert nur fünf Minuten, bis ein Parkplatz gefunden ist! Fünf Minuten! In Berlin! Einen Parkplatz gefunden! Einen, von dem man nicht verschleppt werden kann! Da es im weiteren Verlauf, geschuldet der Schwächezustände des Gitarrendoctors, keine neuen Rekorde zu vermelden geben wird, bleibt dies der heutig einzige. 

Claudia, Fotografin, Filmerin u.a. des letzten Die Art-Videos, schaut vorbei. Winogradow, Eademakow lassen sich frisch geduscht blicken. Welch Freude! Und was soll’s. Her mit dem bulgarischen Schnaps, selbstgebrannt. Reinigung muss sein, wenn schon nicht von außen, so denn wenigstens von innen. Pichelstein hebt den Becher. Leben wird es geben. Jesus! Und all das. 

Die Bühne aufzubauen, auszuleuchten war vorab ein Akt der Verzweiflung. Jeder Schritt trug Bleifuß, nun ist es geschafft, füllt sich der Club, kann bald begonnen werden. Impressario Hendrik begrüßt die Gäste, Doctoren spielen, abwechselnd wird aus dem Haus aus Stein und aus neusten, ganz frisch entdeckten Werken Pratajevs gelesen. Dann wechselt der geneigte Impressario das Genre hin zum Forscher, trägt ebenfalls bei, ermittelt in Sachen Fetisch. Zum großen Abschlusskonzert stimmt auch endlich die Gitarre. Der zuvor verheerende Kampf mit dem Bodenstimmgerät geht eindeutig an Pichelstein. Lange nicht so geschwitzt. Weltpremiere feiert eine herzergreifende Ballade namens „Man weiß nicht wie es geht“. Schon bald in kleiner Raritätenserie, als CD immer dabei, solange der Vorrat reicht. Mit vielen bekannten wie unbekannten Risiken und Nachwirkungen. Anspieltipp: „Die Dünne“ in der Version Pi. 

Schlussendlich: die Lichter, die Protagonisten des Abends strahlen, aller Hände Beifall tut unheimlich gut; das langsamste, dafür sicherlich herzergreifendste Konzert der gefühlt letzten drei Jahre nimmt ein Ende. Raus geht’s in die Schnapsecke zu Dr.h.c.mult. Mary Fiction, dem Bootsmann. Lange wird nicht mehr verweilt; ein Taxi rauscht heran und eine schöne Dreifach-Katzennacht, weich und gemütlich, wartet unweit von hier.

Der Ersatz-Prinz (276)
10. Mai 2013, Garbisdorf/Quellenhof

Die Zeit der Muße war nur kurz; nach dem Goldeck-Spektakel auf dem Berliner Remili-Spreeschiff am Mittwoch, einer Folgenacht, die an anderer Stelle gewiss noch Erwähnung finden wird, versammelt sich der erweiterte Doctorentross am Labelbüro, bereit, wieder fahrtüchtig, zu neuen Abenteuern. Fürst Fedja steuert den BMW. Doctor Pichelstein den Audi. Und weil bereits am Samstag der Goldeck-Tanker in Jena Station machen wird, ist Gitarrenmatrose Shiva gleich mit an Bord.

Das Ziel ist die Eröffnung des 13. Göpfersdorfer Holzbildhauer-Plenairs im malerischen Grenzgebiet zwischen Thüringen und Sachsen. Doch bevor das Land des Pratajev-Kongresses 2013 angesteuert wird, ereignet sich an der Shell-Tankstelle Borna-Eula eine Wurstübersättigung mit späterhin für Pichelstein weitreichenden Folgen. Denn die Wurst, eine bockige mit Senf, ist eindeutig zu groß. Alle anderen orderten zuvor, gesegnet mit dem Quell der Vernunft, die S-Variante für den kleinen Hunger.

Als das 400-Euro-Jobmädchen indes den arglos hinzu stromernden Pichelstein befragt, sagt der nur: „Groß“. Wie zauberhaft doch Tankstellenmädchen lächeln können, selbst wenn sie die 50 lange überschritten haben. Eine XXL liegt auf dem Teller. Die ersten Hapse klappen, dann wird es schwer. Versuche, Fürst Fedja oder Makarios Großreste anzudrehen, scheitern. Die Teilzeit-Kindheitstraumata des Gitarrendocs aber rufen: „Iss, Junge, iss, dann gibt es morgen schönes Wetter; die Kinder in Afrika würden sich freuen, so eine tolle Wurst am Spätnachmittag verputzen zu dürfen (…)“

Gefüllt wie eine pralle Dönertüte, unkontrollierbare Geräusche dabei von sich gebend, Wurst aus dem Zahn heraus piepelnd, ohne Verdauungsschnapskonsum in Reichweite, setzt Pichelstein die Fahrt fort. An den Wegesrändern lassen sich, nach der Abzweigung ins Thüringische, die Kreuze vermissen. Discounfälle: Fehlanzeige in Ermangelung an Discos. Dafür sprießt die Natur aus jeder Ritze, ein ländliches Idyll bis hin zum Quellenhof und auch darüber hinaus.

Die Begrüßung durch das Ehrenmitglied der Pratajev-Gesellschaft, Nikolaj Plautski, ist herzergreifend. Dann kartoniert und schnapsergreifend; schon löst sich die bockige Wurst ein wenig, verhindert aber dennoch die Lust, ins dargereichte Fettige zu greifen. Das aber wäre klug gewesen. Dann einzig eine Bockwurst stellt keine befriedigende Grundlage für eine wilde Doctors-Sause dar. So ist es nun mal und man benötigt keinen Eselsführerschein, um solches Wissen zu beweisen.

Die Künstler, ihre Entourage, Nachbarn, Freunde, Dorfbewohner – alles versammelt sich mittlerweile im Atelier. Rasch wird die Bühne aufgebaut, eine Klangprobe genommen, schon kreist der Schnapskarton erneut, steht der Becherovka, der Bulbash kühl im Eise. Diskussionen, ob der Leipziger Osten, speziell die Eisenbahnstraße, immer noch ein lebend’ Trümmerfeld darstellt, wo Bäume nur deshalb nicht aus Häusern wachsen, weil die Häuser ständig brennen, verebben mit dem an Pichelstein gerichteten Satz: „Wenn ich mir deine Frisur so betrachte, könntest du auch bei den Prinzen mitmachen“. Verdutzt starren alle auf die Fläche oberhalb von Doctor Pi’s Sonnenbrille. Der das sagt, ist Künstler, Dorfbewohner oder alles zugleich. Man einigt sich schließlich auf die Funktion eines Ersatz-Prinzen. Die gute Landluft birgt interessante Ideen; lieber Sebastian, wenn Du das hier liest, keine Sorge. Ein Doctor bleibt ein Russian Doctor.  

Plötzlich, die Reden sind verebbt, verschwunden wie guter Wein, heißt es für Makarios und Pichelstein: Ab in die Pratajev-Ecke, der „Schönen aus der Stadt“ gelüstet es, hervortreten zu dürfen. In Reihen sitzen bereits Damen und Herren, dem Kulturbeitrag harrend, während an der Schnapsbar die Drehverschlüsse knirschen und die Korken plöppen.

Pichelsteins Bockwurst verursacht mittlerweile fürchterliches Sodbrennen; Talcid schafft Abhilfe. Dann ist sie mit einem Male verschwunden, die Wurst. Hunger, Pichelstein leidet Hunger und spielt
bereits das dritte Lied im Programm. Statt Hack gibt’s Schnaps, immer wieder, der sich zunächst wohlig in die leere Magengrube legt, dann in Strohhalmmanier gen Blutzirkulation gerät. Bis zur Pause. Erschöpft sinkt der Gitarrendoc draußen nieder; neuerliche Ersatz-Prinz-Diskussionen halten vom Verzehr fetthaltiger Nahrungsmittel ab. Weiter geht’s mit dem Russen im Keller über die Tierlieder bis auf einmal ein mumifizierter Frosch die Bühne erreicht. Makarios besieht den einst fröhlich quakenden Teichlüstling; es kommt, was gesungen werden muss: der „Gelbe Fettfrosch“. In der
Historie der Erben Pratajevs die Nummer drei an Mumienpräsenten. Bis dato gab es eine Ratte und zwei Katzen.

Vorm heftig umjubelten Zugabeblock wird den Wirten aus Miloproschenskoje ein klapperndes Denkmal gesetzt. Fürst Fedja sei Dank. Der Unbill der Bockwurst führt zu ersten Ausfallerscheinungen. Gerade noch gelingt es Doctor Pichelstein die Galerie der schönen Malkünste Richtung frischer Brise zu verlassen. Schon erklärt er Shiva sein Leid, unterschreibt noch ein paar Tonträger und macht sich auf kleiner Reise davon. Über Hügel, Stöcke und Steine geht es wenige Meter nach rechts. Eine Bank, auf der gewiss manch Armer schon saß, ist das Ziel. Eben noch in die Sterne schauend, bettet sich das müde, trunkene Haupt auf hartem Holze. So kann auch nur von ungefähr berichtet werden, was dem Pratajev-Tross in wenigen Metern Abstand derweil noch wiederfährt. Sei es der spontane Erwerb einer Holzplastik, seien es die Lobeshymnen der älteren Semester auf Makarios, dem beschieden wird, mindestens die Aura eines Joachim Schwanzers, also eines Joe Cockers, zu verströmen. Sei es der Sturz des Shivas über strenge Zeltdrähte, auf dem Weg zur langsam anrollenden Suche nach dem schnellsten, verschwundenen Gitarristen von ganz Garbisdorf.

Doch Ende gut, alles gut. Nicht bei den Lebendfröschen wird dauerhaft genächtigt; die Helden der Landluft, Fedja und Plautski, sammeln Pichelstein von der Bank, schultern ihn, leiten ihn zum Gästehaus und am nächsten Morgen kräht der Hahn ein Lied von Matthias Reim.

Rhabarber an der Schnapsbar (277)
14. Juni 2013, Chemnitz/Subway to Peter
Zurück zu den Wurzeln, auf ins Subway to Peter. Club der Eroberung aller Pratajev in Chemnitz-Geschichten. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein; befüllt mir Borna-Eula-Tankstellenwürsten verträglichen Ausmaßes steuert Fürst Fedja den Weißrussenpanzer gen Leipziger Straße, dann immer geradeaus, abbiegen nicht vergessen. Es ist Oberbürgermeisterwahl; die plakatierten Kandidaten sehen allesamt so aus, als glaubten sie das, was als To do-Liste unter ihrem Konterfei prangert, tatsächlich. Nur die amtierende Rathaus-Chefin verzichtet auf Gewäsch, auf Kofferworte wie Sicherheit, Familie, Natur. Ein Slogan wie: "Wählt mich" reicht vollkommen aus. An einer Ampel beißt eine Freundin des Theaters herzhaft in einen Apfel, kurbelt die Fahrerscheibe runter und ermuntert den Pratajev-Tross ihr doch bitte zu folgen. Doch nein, das geht natürlich nicht. Lächelnd geht’s links ab. Im Schlagerradio versucht derweil eine Baumarktkette sich an, Zitat: „nachgewiesenen Flutopfern“ schadlos zu halten. Werbung mit der Not. Unglaublich. Die Konzertbesucher der Russian Doctors haben übrigens auch schon gespendet; letzte Woche wurde die Miloproschenskojer Wirtsleutekasse geplündert und komplett nach Grimma überwiesen.
Die Tradition, dass es im Subway erst so gegen 23 Uhr mit den abendlichen Konzerten losgeht, wurde vollends verdrängt. So trudelt nichtgrillwilliges Volk an diesem feinen Sommertag entsprechend spät ein. Schön anzusehendes Weibsvolk wird gleich zur Begrüßung mit „Na du Drecksche“ umgarnt. Bis dahin gilt es, die Bühne spielfähig zu machen, frisch vom Händler eingetroffenen DIE ART-Wein dem Merchstand zuzufügen und sich allerlei Unsinn zu berichten. In mindestens zehn Jahren wird es nämlich so weit sein, dass die Nahrungsverweigerung studentisch angeführter Randgruppen ihrem Höhepunkt entgegen strebt. Gegessen wird dann gar nichts mehr. Weder das, was vom Baum gefallen ist, noch das, was nur so aussieht, als wäre es ein Mett-Igel.  

Nachdem das Intro verklungen ist, legen die Doctoren los und werden aufs Äußerste belohnt. Denn wenn ein Konzert spät beginnt, sind große Teile des Publikums bereits nach der dritten Pratajev-Weise betrunken und in entsprechender Feierlaune. So muss es sein! Selbst Doctor Makarios, Erfinder und Verkoster verschiedener Tonic-Mixgetränke, verspürt dieses Sujet am eigenen Leibe. Doctor Pichelstein dagegen, das ist hinlänglich bekannt, treibt das Spiel mit den kleinen und großen Gläsern, erst voll, dann leer und wieder voll, stets zu Höchstleistungen und so ist es kein Wunder, dass am Ende wieder einmal Finger bluten, Plektrums in die Menge fliegen und ein Kübel Schwitzwasser aus den Poren rinnt.

Der vorab abgelegte Schwur, heute keinen Knoblauchschnaps zu trinken, hält sich die ganze Nacht. Aber! Im Subway gibt es eine neue Bar-Köstlichkeit. Rhabarberschnaps. Zwischen zwei Mexikanern serviert, ein sinnvoller Genuss fürs Intervall. Dann ist Pause. Neues in Sachen Geocaching wird Pichelstein erörtert; die Fraktion der Feldrandfrauen und Männer könnte in Zukunft gar Rümpfe wiegen. Gefunden werden müssen: The Russian Doctors. Makarios und Pichelstein harren derweil, wohl gelitten, ihrer Dinge in einem sanierten und prächtig hergerichteten Bau oder Erdloch. Frisch gefunden, wird hernach konzertiert.

Der Abend ist mittlerweile tiefste Nacht; Teil zwei des Konzertes, der Wunschblock, die Zugaben sind vorüber. Ein letztes Tablett Rhabarber macht die Runde, so wird es Zeit fürs Taxigehen. Die Gitarren geschultert, auf ins dankbar hergerichtete betreute Wohnen. Wo ein roter Kirschmond im Glase süßlich seine Runden zieht. 

Unter Veterinären (278)
15. Juni 2013, Leipzig/ Brauhaus Napoleon 

Wenn das erfolgreich beendete Studium der Tiermedizin satte 20 Jahre zurückliegt, ist ein bunter Ehrentag überfällig. Und wen lädt man sich dazu ein? Natürlich Pratajevs Erben, The Russian Doctors. Besonders, wenn das Ehrenmitglied Nummer 38 der Pratajev-Gesellschaft, in hehrer Funktion als Pferdelungen-Transplanteur, mit der Organisation des Ganzen betraut wurde.

So ist die Freude groß, als das Brauhaus Napoleon, unweit des Leipziger Völkerschlachtdenkmals, vom Tourtross angesteuert wird. Teilausgeruht von den Umständen des gestrigen Chemnitz-Ausfluges, das Geschimpf zweier Wellensittiche noch im Ohr, folgt die Einführung in den Ablaufplan, werden Kisten, Boxen, Gitarren in eckbühnenreiche Positionen gebracht. Schon flitzen die Kellnerinnen, reichen Kaltgetränke und Speisekarten. Ein Weg rauf, einer runter. Napoleon selbst, als strammer Uniformist in Nebentätigkeit unterwegs, versprüht Glanz, Gloria und auch Untergang. Shiva hat wenig später Glück, als einer der rennenden Servicekräfte ein Tischtranchiermesser von einem mit allerlei Schwein behafteten Teller entgleitet. Knapp verfehlt es sein Ziel. Blut wird indes nicht vergossen; die Schlacht findet ausschließlich vor jetzt anrückenden Tellermanövern statt. Lecker ist’s, es mundet fein, so darf es für die Doctors immer sein. Denn, wie gestern im Subway to Peter bereits in Dauerschleife festgestellt: so gesund und munter ein vegetarisches Mahl auch sein mag, es führt nur dazu, hinterher gleich wieder Hunger zu haben. Nennen wir das mal den Mc-Donalds-Effekt.

Das Konzert sieht mehrere Blöcke vor; so legen sie dann los, die Herren Makarios und Pichelstein. Zarte Beifallswogen branden darin; sobald die weitläufigen Pratajev-Themen Schnaps, Tiere, Veterinäre gestreift werden, ist die Aufmerksamkeit besonders munter. Im letzten Part ist Platz für den Fetisch und so schunkeln sie alle dahin, in Worten, Werken und Taten. Beim Bücken. Völlig verschwitzt danken die Doctors, verneigen sich vorm Applaus, um sich in kollateraler Erschöpfung an erfrischender Biergartenbrise zu laben. Einer arbeitet noch, Fürst Fedja. Mit einer Engelsgeduld wird kauffreudigen Veterinären der Inhalt einer jeden Russian-Doctors-CD bereitwillig erörtert. Verkaufsschlager, natürlich: „Tote Katzen im Wind – Lieder eines Veterinärs“. Möge die geneigte Kundschaft Pratajevs Weisen in bisher verschlossene Welten hinaustragen.           

Hot Docs verschmähen Schurkenstaatenschnaps (279)
22. Juni 2013, Leipzig/Westbesuch

Eigentlich hatten sich die Doctors auf ein freies Wochenende gefreut, mal blau machen statt grün zu werden. Tomatenplantagen auf Vordermann bringen, abends, mit einem guten Schluck in Händen, selbstgezogene Erdbeeren und allerlei vom Grill verdrücken. Sich von den Strapazen der Woche erholen, Teilzeit-Schreibtisch adé. Das war der Plan. Doch nein, ein Anruf aus Plagwitz bescherte ein zusätzliches Konzert im Jahreskalender. Warum nicht? Auf Westbesuch gehen, zum Straßenfest, ein Heimspiel sollte es werden und wurde es auch.

Die Sonne lässt alle Freitagsunwetter vergessen, als Tiefgaragen unter und Wohnzimmer im Wasser standen. Betroffen war allerdings nur der Leipziger Süden, dort, wo die Karl-Liebknecht-Straße fließt. Auf der Karli-West, der Karl-Heine-Straße, fließt derweil Publikum von Stand zu Bude. In, wie der Spiegel im Frühjahr so schön berichtete, „better Berlin“, wird konzertiert. Direkt vor einer Hot-Dog-Bewirtschaftung. So mutieren, geschuldet den Drinks und der Hitze, die Russian Docs eben zu den Hot Docs. Eine Bühne gibt es zwar auch, doch müsste man die einige Meter verrücken, worauf gänzlich verzichtet wird; Fürst Fedja, geschwächt ob der Umstände der vorherigen Nacht (O-Ton: Einmal mit Profis arbeiten)  greift in die Vollen, Pratajevs Berliner Forscherkolleg um die Herren Winogradow und Dr.h.c.mult. Mary Fiction fasst mit an.

Schon steht die Anlage zur Beschallung des Westbesuches im Paket; schnell noch der Ausspruch strikter Trinkverweigerung in Sachen nordkoreanischen Ingwerschnapses, 60 %, vom Opa des derzeitigen Diktators vor Jahren an Winogradows Vater verschenkt. Gerne hätte man probiert, doch die gelbe Flüssigkeit schäumt mit weißem Aufsatz und gemahnt eher an eine Chemiekatastrophe auf dem Miloproschenskojer Feuerlöschteich, denn an ein leckeres Stelldichein, bzw. Kippdichein. Das Auge trinkt eben mit, hm, vielleicht stellt sich eher noch die Frage, ob nicht
diverse Augen mitgetrunken werden? Hut ab vor den furchtlosen Verkostern Vincent und Shiva. Dennoch: Mittlerweile befindet sich die Flasche im provisorischen Pratajev-Museum. Na, vielleicht um Besucher damit zu verköstigen. Wer weiß? Vom historischen Wert ist der Speiseröhrenreiniger nämlich schon aller Ehren wert. Echter Schurkenstaatenschnaps! 

Dann geht’s los, starten die Heimatweisen des großen Dichters Pratajev. Laut Vertrag soll eine Stunde konzertiert werden, doch da 60 Minuten nun mal knapp bemessen sind, um wenigstens einen kleinen Einblick ins russische Landleben zu erhaschen, wird überzogen. Ohne Pause geht’s direkt in den Wunschblock hinein. Doctor Pichelstein, heute sehr experimentierfreudig, gibt Gas, anspornende Vodkabecher werden gereicht. Doctor Makarios sehnt die Schnapsbar ein ums andere Mal herbei, dann ist’s geschafft, wurden neue Welten erschlossen und mancher, der vorher noch nie bei den Russian Doctors war, wird wieder kommen. Liebes Westpaketbesuchspublikum, sehr vielen Dank! Auch an all jene, die für die notleidenden Wirte von Miloproschenskoje spendeten. Und so greift sie um sich, die alte Sommertante Nacht. Hier, in Leipzig-Plagwitz, wo sich Fleischäpfelel und vegane Würstchen sehr lieb haben.    



Rettungsschirme am Elbufer (280)
29. Juni 2013, Dresden, Elbhangfest / Alte Feuerwache 

Auf zum 23. Elbhangfest. Gleich mehrere Automobile machen sich aus Leipzig mit auf den Doctorenweg. Heute dem Pratajev-Tross beiwohnen zu wollen, darf als weise Entscheidung geherzt werden. Brotnowaljow Numski Guinnessoff, Fürst Fedja, Goldeck-Art-Experte Shiva und wie sie alle heißen. Doktor Pichelstein trifft als erster an der Alten Feuerwache ein. Kinderfüße und Aufsteller wurden weder an- noch überfahren. Gar nicht so leicht, den Spielort zu erreichen. Voll ist der Elbhang, noch scheint die Sonne und alle haben Hunger, Durst und erfreuen sich an der Verameisung des Menschen. Eine wahrlich philosophische Wortschöpfung, welche Doktor Makarios, gezeichnet von den Erlebnissen des gestrigen Fusion-Festivals, eben erst kreierte.

Pichelstein fällt am hurtig gefundenen Becherovka-Stand passend dazu eine weitere Philosophie an. Es ist jene über die Verblockflötung von Kleinstkindern. Nichts gegen die Kleinkunst, davon lebt ja so ein Elbhangfest. Nichts gegen die lustigen Männer und Frauen, die sich sächsisch gefärbte Sätze um die Ohren hauen, dass weitere Wortschöpfungen wie Tourette das Gehör der Welt erblicken, bzw. akustisch mit sich voll machen. Jedenfalls. Die Verblockflötung von Kleinstkindern ist ganz schlimm und furchtbar. Kinder sollten Eis essen, an Zuckerwatten kleben und Karussell fahren. Die meisten tun das zwar auch, doch einige wenige meinen, mit einer mindestens 35-fachen Wiederholung des gefühlvollen Liedes „Greensleeves“ den Stein der Weisen gefunden zu haben. Zumindest was die Bewältigung ganzer Nachmittage zur Aufbesserung des Taschengeldes betrifft. Ist das schon Kinderarbeit? Natürlich ist es das. Und die Gage fällt auch mager aus. Drei Gläser Becherovka, siebenmal Greensleeves, im Hut: 20 Cent. Da lässt es sich in Bangladesh, aber nein, so weit wollen wir gar nicht fahren.        

Froh ist man, als die Bühne steht, auch die Nachfolgepartyskarockband mit allem zufrieden scheint, Grillfleisch an Ketchup gereicht wird. Nur, dass es ausgerechnet vorm Konzert regnen muss. Blöd. Doch die meisten Menschen tragen Schirme, Rettungsschirme. Und wenn mal einer fehlt, kuschelt man sich an den Nachbarn. Als das Intro gegen halb neun über den Feuerwachenhof donnert, hofft man nur, dass es keine Schlammschlacht geben wird, dass die Deiche halten, was die Elbe nicht verspricht.

Im Trockenen stehen und über Pratajev dozieren, musizieren. Leicht gelingt es heute sogar Tanztumulte anzuzetteln. Pichelstein blickt mehrfach sehr bewundernd ob der vorhandenen Textsicherheit ins verehrte Publikum. Daraus lässt sich doch bestimmt ein Chor formen. Doktor Makarios, mit besten Kontakten zur sich linksseits der Bühne befindlichen Schnapsbar, sorgt für überraschende Strophenverkettungen, des Gitarrendoctors Saitenhysterie knackt fast den Weltrekord in der „Harten Wirtin“. So tönt, schreit, singt, spielt es sich mit großer Lust und Laune. Schwitz es sich, nicht zu vergessen. Selbst die Mücken rutschen am glatten Pichelsteinhals ab und können sich nicht festsaugen. Aufgeheizt geht’s in den Zugabeblock, nachdem die heutige Geschichte Pratajevs über große Strecken vorläufig zu Ende erzählt ist. Die Doctoren überlegen kurzfristig, ob sie nicht zum Stagediving ansetzen sollten; somit wäre einer pratajevgerechten Schlammschlacht Tür und Tor geöffnet. Doch nein, nass wie die Schwitzfische aus dem Bolwerkower Musikerteich, der so heißt, weil Pratajev darin einmal lästige, furchtbare Instrumente am Tag der Maultrommeln von Igursk versenkte, geht’s in den Niesel hinein. Auf an die Schnapsbar, an den Grillstand, zur OB-LA-DI-OB-LA-DA-Becherovka-Frau (die Flasche für 62,50 J). Erkenntnis: Nach jedem Jahr Elbhangfest, erster Tag, sagen sich die Doctoren: Schöner kann’s nicht werden. Und glücklicherweise irren sie da.            



Schlips aus Pferd und Senf am Sakko (281)
30. Juni 2013, Dresden, Elbhangfest / Grottenwirtschaft  

Tag 3 des Elbhangfestes, Tag 2 für die Russian Doctors. Die Regenmacher ließen sich derweil, beeindruckt vom gestrigen Feuerwachen-Spektakel, außer Landes jagen. Aufgeteilt in die Städte Dresden und Pirna nächtigten Pratajevs Erben, da insgesamt keine Unterkunft mehr aufzutreiben war. So streichelt Pichelstein den Mirko-Hund, wohl gelitten, satt gefrühstückt und weigert sich in jedem Fall den angereichten Tennisball, feucht wie ein Dutzend Biotope, in die Wallachei zu werfen. Bekanntermaßen führt solcherlei Tun in eine anstrengende Endlosschleife - mittags, nach einem vornächtlichen Doctors-Konzert, sollte der ach so überbewertete „Ausgleich“ (Jogger, Kampfradfahrer und Walker reden ja von nichts anderem) nie in sportlicher Betätigung münden. Vor allem dann nicht, wenn das nächste Konzert bereits in greifbare Nähe rückt. Und das ist gut so, darauf wird sich feste gefreut.

Bis der Pratajev-Tross die Grottenwirtschaft vollzählig erreicht, heißt es: unter brütender Sonne müssen Autos durch Menschenmengen jongliert werden. Diskussionen gibt’s, wie in jedem Jahr, an Straßensperren mit energischen Wachfrauen um korrekte Durchfahrtsgenehmigungen. Umwege tun sich auf, die selbst das ins Telefon eingebaute Navigationsgerät für zweifelhaft hält. Kurz vorm Ziel dann: eine halbe Stunde hinterm Notarztgefährt, hinterm Krankenwagen verharren (proppere Dame mit lustiger Hutkrempe: Wetterumschwung, Kreislauf, Schnaps, Schotterflechte), bis das erste Kaltgetränk erreicht ist, alle Hände geschüttelt sind. Herrlich ist’s, danke liebes Team Hendrik! Was für eine Freude.

Pünktlich um 15 Uhr geht’s los, liegen mit ordentlich viel Senf gekleisterte Sakkos hinter den Doctoren. Während mitunter vorne, an der Landstraße, die fröhliche Nachmittagsparty der Pratajev-Freunde unter ersten Jubelorgien für elbhangweite Furore sorgt. Für diverse Schnapsverkostungen ist's eindeutig noch zu früh; so fließt zunächst der Gerstensaft in Strömen, befeuert das Volk. Pferdekarren mit Menschen drauf schleppen sich vorbei. Und aus dem "Schlips aus Lurch" wird einer aus Pferd. Familie Biberowitsch stellt Handarbeit vor; der jüngste Spross wünscht sich sehr den "Löffel aus Holz" herbei. Da ist das Programm bereits im Zugabeblock, flugs ging's dort hinein. Doktor Pichelstein, aufgeheizt wie drei Elbedampfer, sorgte dafür - Weltrekord in Dresden! Endlich geknackt! Die schnellste "Harte Wirtin" seit drei Jahren. Einzig der zweite Löffel des heutigen Nachmittages wird zur Ballade, was am Merchstand, nach Konzertende, bei einem feschen Herrn gar sanfte Kritik auslöst. Doch die Idee: „Wenn ihr langsamer spielt, dauert das Konzert länger“, hm, die geht nicht auf. Nach den Doctors ist die nächste Combo angesagt.

By the way: Obschon man in Keimzeit-Geschwindigkeit sicherlich zehn Stunden ohne Pause durchspielen könnte. Wie dem auch sei: Die Löffelkinder Klein-Biberowitsch samt Klein-Frau-Doktor halten innen; mit großen Augen wird geschaut. Auf eine Welt, von der einst Pratajev erzählte. Die noch heute so wahr ist, als wäre sie allgegenwärtig. Wie es die Weise "Der Wanderer" am allerbesten zu beschreiben vermag: "So geht's uns gut, so kann es bleiben, man muss nur wissen, wie man's macht. Soll'n doch die anderen leiden und ärgern sich bis in die Nacht". In diesem Sinne bis zum nächsten Mal, werter Elbhang, liebe Menschen aus Nah und Fern. Im September kommen die Doctoren wieder. Zum Benefiz-Flut-Konzert in die Alte Feuerwache. Das muss sein. Die notleidenden Wirtsleute aus Miloproschenskoje gaben dazu bereits Ja-Worte.

Motte im Mund (282)
03. August 2013, Pirna/Hofnacht    

Mit Kevin, der Colaflasche, fährt Doctor Pichelstein dem Sangesdoc hinterher. Fürst Fedja und Makarios brachen bereits am Vortag gen Pirna auf. Auftrag: Kesselsuppe kochen. Genauer: Krautsuppe nach einem Originalrezept Pratajevs. Bei Außentemperaturen um die 30 Grad kein leichtes Unterfangen, denn so eine Köstlichkeit rührt sich auf offenem Feuer nicht von selbst. Passend dazu gestaltete sich das Eintreffen einer Marge handgeschnitzter Holzlöffel mit den Insignien „Russian Doctors“ und (natürlich) „Löffel aus Holz“. Fertig ist das Pratajev-Gedeck? Von wegen. Den passenden Schnaps lieferten weißrussische Schwarzbrenner. Ein Honigvodka, sanft wie ein Lämmchen, wolfig im Abgang.  

Am Spielort der Langen Straße herrscht hektisches Treiben. Consigliere Ulf trägt einen Lappen auf dem Kopf, schwere Bretter in Händen. Andernorts werden Tische verschraubt, Kühlschränke verfüllt. Frosten genannt - der Sächsischunterricht der Herren Fedja und Makarios am Schüler (aka teacher’s pet) Pichelstein nimmt glücklicherweise kein Ende. Böhmische Kaltgetränke lassen den Gitarrendoc eindeutig überhitzt dahindämmern.

Nach dem Bühnenaufbau klebt’s Hemd wie ein nasses Halbkörperpflaster, fließt der Schweiß aus dem Schuhwerk. Was hilft da nur, womit werden unliebsame Aufgaben zum Positiven hin getriggert? Mit Honigvodka. Zu dem sich schon bald bulgarisches Nass aus Banja gesellt; Eademakow plus S-Töchterchen im Russian-Doctors-Shirt nebst Winogradow erscheinen auf der Bildfläche. Nach einer 1200-Kilometer-Autofahrt mit gestrigem Zwischenstopp am Balaton. Dabei sollte eben noch Peter Richter (Wismar) der Ehrenschnaps für die weiteste Anreise verliehen werden.

Schön durchgezogen ist die Suppe, die Löffel fahren, löffeln hinein. Wenn’s nur nicht so heiß heute wäre, Doppelportionen wären sinnvoll und möglich. Im Innenhof streifen beengt junge,
ältere Trunkene umher. Klammertanz auf dem Weg zur inneren Abkühlung oder meinetwegen auch Einkehr. Ein Stockwerk drüber fragt man sich, wann The Russian Doctors endlich beginnen. Doctor Pichelsteins Kopf steckt noch in der Froste fest, Doctor Makarios ist bereits jetzt dem Sumpf geweiht. Und los geht’s mit Liedern aus Land und Dorf, zur Abkühlung „Als das Eis kam“. Es hängen
die Katzen, braten die Schweine, hungert die Dünne, fließen die Schnäpse. Dann wird er aus der Kiste gekramt, „Der edle Mann“. Lange verschollen, seit 2004 nicht mehr dargeboten. Stolz und erhobenen Hauptes präsentiert Doctor Markarios im dunkelsten Post-Gothic Strophe um Refrain und Strophe. Schwestern wollen wieder Schwesternschülerinnen sein und Consigliere Ulf, dem diese Pratajev-Weise heute gewidmet wird, strahlt heller als eine rote DDR-Turnhose aus den End-80ern.

In der Pause wringen sich die Doctoren, so gut es   Was folgt, ist „Pratajev in Prague“, Gläser hoch, als der kürzlich verstorbene Secret 9 Beat-Tom, die Leinwand betritt. Konzertblock Nummer zwei reiht sich ein. Dann, als die Elektrolyte im Orkus nicht mehr mehrheitsfähig sind, ist’s nach der letzten Schnapsbar vorbei. Die wandelnde Volkshochschule Pichelstein erteilt noch Gitarrenunterricht. Nichts wie zur Suppe, zur leckeren. Denn das hat man sich jetzt durchaus (sächsisch: ÜBELST) verdient.
eben geht, aus. Fürst Fedja, Winogradow, Eademakow treten als rettende Schnapsboten ins UV-Licht. Dort halten die Motten Rat ab, bevor in Makarios‘ hinterlegtem Schnapsglas, in Pichelsteins sorglos abgestellter Böhmenflasche kollektiv gestorben wird. „Motte im Mund“, so könnte es nach Art Pratajevs heißen, „Kaut sich zwar gut / Ist aber ungesund“.

Open Air (bei Wetter) (283)
10. August 2013, Fürstenwalde/Club im Park    

Sonne, Sonne, Sonne – nur je näher man der Hauptstadt kommt, umso düsterer wird’s am Horizont. Stürmische Winde geleiten beide Doctoren gen Brandenburg. Erst über Fürstenwalde ist der Anfangszustand, unterm Gepiepe der Waldspitzenbewohner, wieder erreicht. Angekündigt ist ein heißes Eintagesrennen im Parkclub. „Open Air (bei Wetter)“ verspricht die Veranstalter-Homepage. Fürst Fedja reist aus Belarus an; 200-Gramm-Vodkatassen, versehen mit dem Konterfei der T-Shirt-Reihe, im illustren Gepäck. Und noch immer wird darüber sinniert, ob nicht doch Unterhosen (männlich) mit dem Aufdruck „Der Böse“ oder „Der Arme“, respektive weibliches Slipwerk („Beim Bücken“, „Tote Katzen im Wind“ usw) in die Produktion gehen sollen. Möglichst aus Biberfellimitat hergestellt. Na, wer weiß.

Am Club schwitzen die Menschen. Eben erst wurde die komplette Bühne von draußen nach drinnen verlegt. Doch nein, drinnen wär’s ein Fest für schleimige Arme, so schwülfeucht wabern die Luftmassen an der Schnapsbar vorbei. Blitzmeldung via Deutschlandradio-Kultur, doch eher über Facebook in alle Handygalaxien: „Durchnässtes Blätterdach, Regen der nicht angekündigt war und eine ebenso "sichere" Prognose auf Nieselwetter haben uns gezwungen die Russian Doctors erneut im Parkclub auftreten zu lassen. Unsere Dekopläne können wir zum Teil trotzdem noch realisieren. Dazu bedarf es allerdings helfender Hände (…)“. Doch die besten Prognosen taugen heute glücklicherweise nichts; Doctoren wollen, erstmals überhaupt hier im Sommer zu Gast, draußen bleiben und dürfen es schließlich auch. Alles wieder raus und neu aufgebaut. Pichelstein zutscht (lernt immer noch fleißig sächsisch in der Fedja-Makarios-Schule) am Astra und guckt alles andere als gäkig. Heutige Aufgabe: Herausfinden, was eine „Hornstsche“ ist. Erst mal das Gelummbe aus dem Auto zur Bühnenfeuchte schleppen, einen leicht nachlässigen Soundcheck hinlegen, danach sich mit Mückenspray eindieseln und warten, was passiert. Herbeigeeilte helfende Hände, groß und klein, stopfen derweil Fackeln in die Erde, dekorieren das Bühnenrund mit herrlichen Phänomenen, Parkclub sei Dank. Sehr schön sieht’s aus.

Pratajev-Freunde, herbeigeeilt aus vielerlei Orten, gar aus Magdeburg, strömen zum Fest. Fürst Fedjas Belarus-Leibschnaps wird gereicht. Die Produktion nachbarschaftlicher Reserven hinkt allerdings, denn der Schnapsbrenner sei neulich vom Balkon gefallen. In welchem Zustand ist leider nicht überliefert. Am Merchstand setzt unterdessen der Löffel-aus-Holz-Absatz ein; Kongresstickets werden veräußert. Besser man hat, als man hätte und in Besitz so einer abwaschbaren Karte gibt es ja auch keine Ausreden mehr. Spätestens am 28.September sieht man sich im Garbisdorfer Quellenhof wieder.

Forscher Eademakow, vorvormaliger Preisträger des gesellschaftlichen Forschungspokals „Der Wanderer“ wird zwar noch vom Bahnhof abholt, dennoch beginnt das Konzert. Und da der Soundcheck eher nachlässig begangen wurde, springt die „Schöne aus der Stadt“ ein wenig aus den Fugen. Ein paar Pegeldreher später, wissen beide Doctoren schließlich, was sie auf der Bühne so von sich geben. Recht rasch ergibt sich der ein oder andere Pichelstein-Sprint, doch da keine Pause eingeplant ist, behält sich der Gitarrendoc die abendliche Krönung mal für später auf. Der Schnaps fließt in Bächen, das verehrte Publikum vergnügt sich. Wären die leckeren Waldtiere nicht so scheu, hätten sie fein mitgefeiert. Doch wo Menschen sind, steht meistens auch ein Grill. Und neben all den sächsischen Wörtern, die Pichelstein im Laufe der Nacht noch lernt, taucht erstmals die Wortschöpfung „Makariosmus“. Was sie genau bedeutet, nun, das kann der Sangesdoctor selbst erzählen.

Stürzende Mädchen (284)
24. August 2013, Pirna/Hauseinweihe

Die Zusammenführung der Doctors findet einmal mehr in der Langen Straße zu Pirna statt. Während Doctor Makarios reichlich geschwächt über die vorabendliche Konzertstation Chemiefabrik Dresden eintrifft, landet Doctor Pichelstein im Consigliere Ulf-Volvogefährt. Mit Raucherkippchenfenster und so ehrfürchtig alt, dass eine Umweltzonenplakette nicht mehr nötig ist. Fürst Fedja läuft noch auf runden Schuhen, Schlagwerker Shiva wringt’s T-Shirt aus. Was muss das für eine unartige Nacht gewesen sein. Der einzig Ausgeruhte ist Doctor Pichelstein und zwar weit und breit.

Geschlossen geht’s zur neuen Heimstatt der heutigen Festverantwortlichen. Babuschka Karo und der edle Ritter Ulf haben sich ordentlich ins Zeug gelegt; am Hofeingang gibt’s zur Begrüßung gleich mal Brot, Salz und Schnaps. Bewundernd schlingert sich der Pratajev-Tross durchs lichte Gemäuer. Neulich war’s noch die Elbe, doch die ist mittlerweile wieder dort, wo sie hingehört. Nach dem Sandmann Marsch ins Bettchen.

Techniker Füß in reinster Daseinsfreude weist beide Doctoren an der Anlage zur Beschallung des Freilichtpublikums ein, schon werden Koffer und Kisten geschleppt und noch bevor der Soundcheck Einzug hält, klärt Ritter Ulf über edle Getränkevorräte an geheimen Orten auf. Verkostung inklusive, während in der Küche letzte Großoffensiven getätigt werden.

Aufgetischt wird edelstes aus den Weiten Russlands. Die Balken biegen sich vor Leckereien, Suppen dampfen, Schaschlikis bevölkern den Grill. Dann der Soundcheck, gefolgt von ersten Juchzern, denn der erfahrene Russian-Doctors-Besucher weiß: Darin werden stets neue Stücke ausprobiert, respektive solche gespielt, die auf der Liederliste unter ferner liefen stehen. Es folgt die offizielle Eröffnung der Festivität. Der Applaus brandet, trefflichste Worte, gar ins Russische übersetzt, sind gesagt. Ran ans Buffet, an die Schwarzbierfässer. Bei Einbruch der Dunkelheit soll‘s starten, das Konzert.

Ersten Gästen ist bereits jetzt eine gewisse Vodka-Affinität nachzusagen, orchestriert von der Konserve Prumskibeat. Das Zeichen für die Erben Pratajevs, los geht’s vorm endlich einmal mitgebrachten Zaunbanner. Passend, Stück zwei: „An ihrem Garten“, denn er tobt recht rasch, der Garten. Tanzbeine werden geschwungen. Was einst in den Tourtagebüchern als „Pure Weimarer Wildheit“ die Goethe-Stadt veredelte, greift seit Jahr und Tag nunmehr in Pirna um sich. Es hopsen die Perlmuttknöpfe an den Blusen der Damen und Herren unterm Gitarrendonner des Doctor Pichelstein. Mal glockenhell, mal whiskeyrauchig veredelt schmettert Doctor Makarios russische Poesie in die Natur. Auf jeden Fall versehen mit der ein oder anderen einstudierten Ostrockpose. Und mittendrin, im ersten Konzertblock, wird der wandernde Kulturbeitrag beschenkt. Mit zwei handgeschnitzten Löffeln aus Birke. Huldvoll ergeht großer Dank an beide Festverantwortliche. Auf an die Schnapsbar und nicht ins Gestrüpp. So deutlich hätte man es rufen sollen, aber nun. Denn ins Gestrüpp dürfen nur Gestrüpperinnen. Die werden schließlich dafür bezahlt.

Irgendwann taucht Consigliere Ulf mitsamt eines nahezu orientierungslosen Die-Art-Schlagwerkers wieder auf. Im Steinbruch sei man gewesen, Selbstgebrannten habe man gefunden. Gefunden wird auch der erste Kompostproduzent; ein junger Mann, vor einem Eimer sitzend. Doctor Pichelstein, Meister seines Faches, fühlt den Puls und schreibt ein Rezept. Drauf steht die Pratajev-Weise „Das Idyll“, also: ..und hoffentlich muss ich nicht brechen, das könnte sich, wenn es die Mädchen sehen, ganz bitterböse rächen (…). Auf zur zweiten Runde.

Wie mit dem Selbstauslöser geknipst reihen sich Tierlieder ans ländliche Schaffen, brüllen die Kühe, fallen die Mädchen, starke Jungs helfen ihnen auf. Wildes Pirna, du liebe Güte! Was für ein Abend. Aus dem Wortschatz Sokrates (Gerechtigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit) wird letzteres Refugium für Stunden gestrichen. Und da muss gar nicht mal der letzte Konzertton verklungen sein. Erschöpft sinken Doctoren in gegenseitige Arme, schlabbernd vor heißem Schweiße. Ein Ziel, den wartenden Gartentisch vor Augen. Was für ein herrlich rauschendes Fest, das noch lang nicht in den letzten Zügen liegt.    
     
Drei Meter hoch, 25 Meter weit (285)
19. September 2013, Dresden, Kongress der Medizinischen Psychologie/Lingnerschloss

Soso, da fahren sie also wieder, die Doctoren. Eben noch mit lauwarmen Bockwürsten an der Total-Tankstelle im Leipziger Osten beglückt (O-Ton-Makarios: „Lauwarme Bockwürste schmecken zwar furchtbar, sind aber wenigstens frisch eingelegt“), schon auf dem Weg nach Elbflorenz. Fürst Fedja sorgt zudem für einen sicheren Transfer („Mit wird ganz anders, wenn du 200 fährst“ – wieder Makarios), die erstmalige Überquerung der Waldschlösschenbrücke versetzt den Tross in Staunen. „So viel Aufruhr. Weltkulturerbe und Fledermäuse. Wahnsinn, nur eine Brücke mit einem Blitzer drauf“ (keine Ahnung wer das sagte).

Recht feudal gestaltet sich bereits das Einchecken in die Unterkunft. Bezogen werden, nach erfolgreichem Eintippen des Haustür-Codes, Zimmer in einer herrschaftlichen Jugendstil-Villa des TU-Gästehauses „Einsteinstraße". Den schriftlich hinterlegten Anweisungen (roter Edding, mindestens Stärke 400) der Herbergsmutter, doch bitte gleich beim Eintreffen diverse Formulare auszufüllen, kann selbstredend nicht entsprochen werden. Schließlich lockt von Ferne bereits das Lingnerschloss-Buffet. Mit dem Duft diverser Vorsuppen bereits in der Nase, wird der weinumrankte Elbhang schließlich erreicht. Jetzt fehlen nur noch Roadies. So welche mit dicken, tätowierten Armen, die sich zwei Gitarrenkoffer gleichzeitig über die Ohren hängen und restliches Bühnengepäck auf dem Kojak-Kopf spazieren führen. Doch die sind nicht auszumachen. Also los, viele Meter Kiesweg sind bis zu den Schlossterrassen zu bewältigen. Erschöpften Mutes wird der dem Anlass entsprechend schick gekleidete Gastgeber erblickt und geherzt. Dann geht es in die untergehende Sonne, zum Hang. Die Schiffe auf der Elbe sehen aus, als wären sie kleine Modellbauboote. Pratajev, lieber Pratajev, was haben dir die Russian Doctors nicht alles zu verdanken. Ein Prost dem großen Dichter.

Adrett frisiert und herausgeputzt präsentiert sich ebenfalls das DJ-Technikduo, weist Makarios und Pichelstein ein. Es folgt ein minimaler Soundcheck. Wer lässt schon gerne frisch gezapfte und geschüttelte Getränke alleine an der Schnapsbar zurück? Und bald soll er ja frei sein, der via Powerpoint-Präsentation angekündigte Platz am Buffet-Himmel. Fürst Fedja, wie immer skeptisch, vor allem was die bereit stehenden Meeresfrüchte betrifft, ist in Debattierhöchstform. Das muss er auch, schließlich war er mal fürs Bekochen von Leipziger Messegästen zuständig. Na manchmal wurde auch ein alter Scheuerlappen paniert. Da kannte man ja nichts. Mittenmang strömen weitere Gäste, allesamt Teilnehmer und Organisatoren des sich seit einigen Tagen in Klausur befindlichen, hiesigen Kongresses der Medizinischen Psychologie, ins Innere des Lingnerschlosses. So sitzt man, tauscht sich aus, die Weinkellner proben sich im Dauerlauf.

Schweren Herzens werden eine Stunde später die Münder abgewischt, denn stimmt, warum wurde zur Privatfeier geladen? Genau, es gilt, Pratajevs Weisen zu Gehör zu bringen. Möge der Kongress tanzen. Hendrik präsentiert dem aus aller Welt angereisten psychologischen Forschervolk: The Russian Doctors und nach einer Welle von Dankesworten, die im Besonderen der Zunft junger studentischer Hilfskräfte gewidmet werden, startet das Intro. Makarios und Pichelstein verorten sich dabei auf einer drei Meter hohen Bühne. Bis zu den ersten Sitzplätzen sind satte 25 Meter zu überbrücken. Das verunsichert ein wenig, na gut, durch das beständige Anwerfen der Nebelmaschine wähnt man sich bisweilen auf hohen, morgendlichen Ozeanen zu Hause. Doch es birgt große Freude. Begeisterung, klatschende Hände sind am Ufer zu vernehmen. Pratajevs Weisen in einem Elbschloss, dort gehören sie hin. Man kann ja nicht immer nur in Wirtshäusern aufspielen. Der nächste gerechte Vodka erreicht das Bühnenrund. 

Nach Ende des Konzertes werden schwer bepackte Schnapstabletts gereicht, Lebensbiographien („Die Angst der sehr jungen Zahnärztin vor dentaler Eigenbehandlung“, so einer der Titel) ausgetauscht. Und natürlich Weisheiten, denn die sind im Stadium höchster Lebensfreude immer sehr wichtig. Entscheidend ist dabei nur, dass man sie hinterher schnell wieder vergisst.

Hinten Stiefel, vorne Sneakers (286)
20. September 2013, Dresden/Alte Feuerwache

Was für ein Aufruhr gleich zu Beginn des 2. Dresdentages. Der Pratajev-Tross, in letzter Frühstückskonsequenz noch am Buffet des TU-Gästehauses gelandet, hat schwer unter der Herbergsmutter zu leiden. Doctor Pichelstein rutschen gar Halbsätze wie: „DDR-Brauchtum in Sachen Dienstleistungsfreude“ über die Lippen. Aber nun, was hilft es? Brav werden Anmeldeformulare nach-ausgefüllt. Jede Frage nach einem neuerlichen Tässchen Kaffee, jede Apologie darunter vermieden und das Wehklagen der barschen Mutter („Jetzt muss ich diese ganzen Sachen noch in den Computer eintippen“) gebückt zur Kenntnis genommen. Nichts wie weg hier, in den Regen, ins Taxi. Das rief die Putzfrau und die hatte das Herz auf dem richtigen Fleck. Ein Lob an dieser Stelle an die, wie man so schön sagt: Gute Seele des Hauses.

Auf dem Parkplatz des Lingnerschlosses angekommen sieht Fürst Fedja derweil alle Felle davon schwimmen. Ein einziger sich noch in vermeintlichem Besitz befindlicher Autoschlüssel wird gesucht. Taschen dabei aufgerissen, Schweiß vergossen, das Mütchen darunter bereits an sich selbst gekühlt, taucht der Schlüssel plötzlich wieder auf. Fundort: rechte Lederjackentaschen, ganz oben, dort, wo sonst nur kalte Zigarrenstummel schlafen. Noch einmal Glück gehabt. Auf geht’s zur großen Schlösserfahrt mit dem Elbedampfer. „August der Starke“ wartet bereits. Die Tickets gelöst, verbotenes Spatzenvolk beim Spiel mit Senf und Bratwurst gefüttert. Nichts wie aufs Oberdeck, zu Graulocken, einer Schulklasse aus Kärnten und natürlich einer Rotte biertrinkender Ergo-Versicherungsreisender, die lange schon nicht mehr nach Budapest in den Puff dürfen. Oder ist das hier einer? „August der Starke“? Man will es gar nicht wissen. „Leinen los“, ruft der Minijobber am Steg.  Zeitgleich legt der Salon-Schiffs-DJ eine Kassette ein. So erfahren die Flussfreunde aus erster Hand, was sich hinter den feilgebotenen Panoramablicken geschichtliches verbirgt. Und zwar auf Deutsch und einer Art Telefon-Sex-Englisch Marke Volkshochschule für Fortgerittene (O-Ton: „August the strunk“). Nur, dass Gräfin Cosel eine „bitch“ war, bleibt leider Gottes unerwähnt. Hin und zurück, Elbe runter und Elbe rauf. Viel gibt es zu schauen. Am linken Rand etwa „August den Schwachen“, mit letzter Kraft den Hosenstall öffnend. Dann lässt er es fließen und Mutti ist 300
Meter voraus, passiert einen einsamen Angler, der gerade mit depressiv-mürrischem Gesicht einem kleinen Fischlein am Haken die Freiheit schenkt. Fürst Fedja tauft ihn „Nemo“.

Am späteren Nachmittag parkt der randvolle BMW bereits am heutigen Spielort, der Alten Feuerwache. Ein Fluthilfe-Benefizkonzert steht auf dem Programm. Das spielt sich sehr gut, wenn die
Bäuche vollgeschlagen sind. So beginnt sie, die Suche nach einem Lokal, einem Freisitz, einem Restaurant, einer geöffneten Bäckerei und draußen gibt’s nur Kännchen. Mit jedem Meter schwinden die Ansprüche. Außerhalb des Elbhangfestes scheint hier wirklich tote Hose zu sein. Das einzig geöffnete „Kaffee Wippler“ am Körnerplatz sieht von draußen betrachtet so aus, als wären mindestens zwei touristisch angehauchte Busladungen darin. Auf der Suche nach dem heiligen Autobahngral, sprich: dem Klo. Also weiter, immer weiter. In Elbenähe keimt Hoffnung. „Freisitz geöffnet ab 15 Uhr“ steht hier und dort in subversiver Publikumsverhöhnung. Es hat wohl wer vergessen, die Schilder abzumontieren. So wird geraucht und auch ein wenig geflucht. Bis in letzter Konsequenz im „Wippler“ ein winziger Tisch frei wird. Ein winziger Tisch, auf dem sehr bald zuvorderst riesige Kaffeekübel, allerdings ohne greifbare Henkel am Rumpf Platz finden. So sieht sie aus, die Kunst beim Mäusemelken. Und weil es unisono von der Maus bis zur Katze nur ein kurzer Sprung ist: An den Laternen werden nicht nur passiv-aggressiv dreinschauende Politiker dem Wahlvolk präsentiert. Nein, per Steckbrief wird gar nach einem Kater gesucht. „Hinten Stiefel, vorne Sneakers“, so steht es auf dem Papier, daran mag er wohl zu erkennen sein, der gestiefelte Sneakers-Kater. Ein Sammelstück, rasch eingesteckt. Denn Doctoren sammeln solche Kopien und das ist eine Tugend.

Glücklicherweise bietet die Feuerwachen-Entourage leckere Brötchenhälften feil. Der Regen verzieht sich langsam, muss er auch, denn heute wird Open Air gespielt. Ganz schön gewagt, aber nun, anders geht
es nicht. Unter ersten Bechern Tannenzäpfle lassen sich die Doctoren die Nach-Hochwasserlage an der Alten Feuerwache erklären. Hört sich beileibe nicht sehr gut an, doch es wird zu schaffen sein. Wir wollen es hoffen. Böse Elbe, mach das nie wieder! Ja und dann fallen die Pullover, wird die Bühne mit Gerätschafen, Sangesfreuden und Gitarrenklängen bestückt, kann es eigentlich bald losgehen, doch das Publikum ziert sich noch und denkt heute dreimal drüber nach, an den nasskalten Elbhang zu gelangen.

Dann trudeln sie alle auf einmal ein, die Dreifachdenker, die lieben Menschen aus Pirna, Dresden und Umgebung. Hinten Stiefel, vorne Sneakers. Das Konzert startet mit voller Wucht, selbst sehr jungen Ärztinnen ist jetzt nach einem Weingelage. Angehende Bildungshungrige verorten das Gedeihen und Verderben von Mangos und Bananen jetzt auch nach Berlin. Der Vodka kreist, rund um den Merchstand trifft sich das Gelage und als der letzte Ton, die letzte Schnapsbar im Pogotanz verklungen ist, dürfen auch die Doctoren Makarios und Pichelstein pausieren bis Schlag Mitternacht, bis die Schnapsbar schließt. Gerne hätte man noch in den Körnerstuben weiter getrunken, doch der Elbhang ist, wie er ist, so ohne Elbhangfest. Doch wen schert das, rauf in die Kammern, wo ein letztes Getränkelein das Abenteuer Dresden für heute beschließt. 

Der Kongress tanzt die wilde 13 (287)
28. September 2013, Garbisdorf, Quellenhof/XIII. Pratajev-Kongress 

Stallburschen, Künstler salutieren vor Dorfschönheiten. Blaue Himmelsfenster, saftiges Grün auf den Feldern, kräftiges Gelb in den Blättern. Herbst ist es schon im Altenburger Land, an einem Ort, der heute Miloproschenskoje heißen darf. Welche Ehre. Die Sonne bricht kräftige Strahlen am Russenpanzer. Ein Panzer, der eigentlich ein Traktor ist. Hat wohl die Ernte eben eingefahren. Gastvater Nikolaj Plautski saß, so die Rede, allerdings nicht am Steuer und ganz Miloproschenskoje, der Quellenhof zu Garbisdorf, Mittelpunkt des heute stattfindenden XIII. Pratajev-Kongresses, atmet hörbar auf.

Das Vorbereitungskomitee tagt am späten Nachmittag. Alles soll bald gerichtete sein zu Ehren unseres großen Dichters. Schon werden Kaffeebecher gerecht, wird der Natur gehuldigt. All den Kühen, Tomaten, Fröschen, Libellen, Bienenstichen, Spatzen, Schafen. Um Pratajevs Segen wird rasch gebeten, dann hält keine Ode ans Idyll mehr die Runde auf. Fürst Fedja, die Doctoren Makarios und Pichelstein wird der Bühnenaufbau übertragen. Manjoschka Gnatz, Wächterin der Münzen, arbeitet hart am Abakus. Zwischendurch folgen  Holunderschnapseindrücke. Wenn auch nicht gegen den Durst. Gastvater Nikolaj Plautski schürt ein Feuer, damit die ab 21:30 Uhr locker terminierte Versteigerung einiger sehr berühmter Werke aus Pratajevs Malerphase zur heiß umrahmten Auktion gebracht werden können.

Die Berliner Forschergraden Winogradow und Eademakow feilen unterdessen an früher wie später programmierten Kongress-Vorträgen beim anleitungsfreien Zeltaufbau, angefeuert vom Genossen Ktonibutjew. Der Kulturbeitrag Beringsee komplettiert mit dem wenig später am Firmament auftauchenden Shiva das Die Art-Stelldichein. Ein frohes Wiedersehen und schön ist’s wieder mal alle beieinander zu sein. Weitere Forscher der Haus aus Stein-Buchreihe geben sich die Klinke in die Hand. Brotnowaljow Numski Guinnessoff saugt an Zigarren und noch handwarmem Gelbschnaps  Schwarzbrenner Gurt Kaktus umgarnt die Bühnendekoration mit nordelbischen Feldfrüchten, immer ein Fläschchen Trovlower Busfahrerschnaps für den neugierig Dürstenden dabei. Erste Taxis erreichen das muntere Rund; ans Tageslicht gelangen reichlich ausgezehrt und nahezu verhungert die Frankenländler Danuta und Bruno Molotova. Erfreulicherweise in adretter Begleitung der Iwana Iwanovitsch Artimowitsch, angereist aus der goldenen Stadt Prag. Nur gut, dass es Fettbemmen, dass es Soljanka nach Art Pratajevs gibt. Mit Katze oder ohne, das soll ein Geheimnis bleiben.
zugleich, Inge A. Polenz versprüht Charme und
Esprit. Boris Brutalowitsch sichert sich bereits beste Plätze für heimliche Giftschrank-Mitschnitte.

Begrüßt wird die Pratajev-Fraktion Karl-Marx-Stadt, werden Dorfbewohner, Karussellkinder und all jene, die den Kongressabend mit Leben und Leber füllen. In letzter Klausur befinden sich nur noch Doctor Pichelstein und Gastsängerin Frau Doctor Franziska. Pratajevs Weisen, oder auch Hits „Schleim am Arm“ und „Auch die Ratte hat ein Herz“ werden geprobt für ein Special ganz besonderer Noten, denn Frau Doctor Franziska
vermag sehr schön und klassisch zu singen.

20:05 Uhr schlägt die Stunde, „kurz nach Um“, wie der Sachse sagt. Die Eröffnung des XIII. Pratajev-Kongresses wird durch den Ehrenvorsitzenden Doctor Makarios begangen. Bestuhlte Reihen blicken gebannt, an der Schnapsbar ist dennoch (und so muss es sein) die Hölle los. Fürst Fedja jubiliert: Endlich ist er kalt, der Gelbe Schnaps aus Karlsbad. Doctor Pichelsteins Gaumen nimmt es mit wohligem Schauer zur Kenntnis. The Russian Doctors folgen mit einer kleinen musikalischen Bresche. Eademakow berichtet live und in Farbe
von einer neuerlichen Forschungsepistel unseres großen Dichters. Die Geschichte, wie es Pratajev einst aufs berühmte Foto der Alliierten am Torgauer Brückenkopf geschafft haben soll, gibt es im nächsten Haus aus Stein zu lesen. Doch das erscheint, an dieser Stelle sei es erwähnt, nicht wie gewohnt im Februar 2014, sondern später. Das liegt einfach mal daran, dass Herausgeber 1 (Pichelstein) fast durchweg zuletzt sechs Monate am Schreibtisch verbrachte, um einen knapp 400 Seiten dicken Buchwälzer namens „Eishockey in Deutschland –
Nichts für schwache Nerven“ zu kreieren und entsprechend schreiblädiert ist. Herausgeber 2 (Makarios) steckt in den Abschlussarbeiten zu „Pratajev IV“, welches tatsächlich 2014 erscheinen wird.

Ab 20:50 Uhr, der Sachse spricht jetzt von: „zehn vor Um“,  kennt der Saal kein Halten mehr. „The Russian Doctors Classics - feat. Frau Doctor Franzsika“ feiern Premiere, Pichelstein erzählt danach von Pratajevs Psychiater Schizophrenow, den Aufzeichnungen seines Sohnes, einen stummen   grüner Leiter auf gelbem Grund prosten sich durchs Gewimmel.
Vorwurf an eine Kreisstadt im Mittleren Ural namens Bolwerkow nicht verhehlend. „Raus an die Schnapsbar“ heißt es hernach. Von den Inhalten wird reichlich Gebrach gemacht. Und so verwundert es kaum, dass innerhalb der von Nikolaj Plautski hervorragend inszenierten Pratajev-Auktion die Wogen überschäumen, die Werke des großen Meisters Höchstpreise erzielen. Manjoschka Gnatz gelingt es gerade noch das Werk „Messer mit Möhre“ für das Büro der Leipziger Pratajev-Zentrale zu ersteigern. Bierflaschen mit

Beringsee spielen kurz danach zur besten Daseinsfreude auf und von hier an schwinden die Erinnerungen des Tagebucherzählers. Er weiß noch, dass die feuchtfröhliche, von knallenden Krimsektkorken begleitete Übergabe der diesjährigen Kongress-Pokale „Held der Arbeit“ (an Nikolaj Plautski) und „Der Wanderer“ Jauchzen und Staunen mit sich brachten. Dass die Übergabe des letztgenannten Forscherpokals (Gurt Kaktus an Winogradow) alle Ketten sprengen ließ, die bezaubernde Moderatorin Manjoschka Gnatz alle
Mühe hatte, die Auszeichnung der „Schönsten Pelzzunge“ zur Prämierung auszurufen. Denn der dafür vorgesehene Zweitpreisling Brotnowaljow Numski Guinnessoff schlief bereit den Schlaf des gerechten Wirtes. Als 1. Sieger in der kunstbeflissenen Werkedisziplin wurde Pratajev-Mitglied vito (Erfurt) ausgerufen. Und als sich die Tumulte wieder legten, sang Winogradow poetisch-samtene Schwarzmeer-Verzauberungen zur Gitarre, bevor ein Wirbelsturm an letzten Pratajev-Weisen der Herren Makarios und Pichelstein den Kongressdeckel in früher Morgenstunde schlossen.

An dieser Stelle gemahnen die Erinnerungen des Tagebucherzählers völlig zu entschwinden. Nicht ohne ein deftiges Allen-sei-Dank, vor allem an Gastvater Plautski nebst umsorgender Quellenhof-Entourage, zu richten, bevor die Geschicke des nächsten Tages für immer verschwiegen werden. Denn jedem Tag Eins nach einem gelungenen Pratajev-Kongress wie diesem, kann nur zugerufen werden: Heute geschlossen wegen gestern.         

Die neuerlich große Sause bei Frau Krause (288)
22. November 2013, Leipzig/Frau Krause

November, das ist ja auch so ein Monat. Viel Totengedenken, Karnevalsgrusel und ein Feiertag zum Büßen und Beten. Zumindest in Sachsen und heller will es draußen trotzdem nicht werden. Die Sonne geruht nur noch dann zu scheinen, wenn draußen klirrende Kälte herrscht. Mit Schlachtrufen, Luxusflüchen wie: „Wurst! Im! Rauch!“ versucht man sich bereits früh morgens zu motivieren. Nie sterben so viele Wecker übers Jahre verteilt den Wandtod als im November. Doch nun Ruhe im vorweihnachtlichen Getümmel, einen Tag im Monat 11 des Kalendariums wollen wir stets herzensrot anstreichen, den Tag der Sause bei Frau Krause. Begangen wird heute der Tourabschluss „10 Jahre Russian Doctors“. Gebannt wartet Doctor Pichelstein in der heimischen Küche auf ein Klingelzeichen des Fürst Fedja. Dann heißt es: Inventar nach draußen tragen, den Mantelkragen dabei zur Wind- und Wetterspeersitze hochgesteckt. Am Auto wartet bereits Doctor Makarios, Karl-Marx-Städter huschen in die Wohnung hoch. Noch schnell ein paar Sahnelikörchen kippen und ein Fläschchen Sekt. Das muss sein. 

Wohlig warm ist’s in der Frau Krause, nach holder, goldener Technikeinweisung wird gesoundcheckt, werden erste Schweißtropfen unterm Beleuchtungssegment vergossen. Jedem dieser Tropfen heute ein Gläschen fein, so dürfte nichts schief gehen, auch das muss so sein. Und als die unglaublich leckeren Schnitzelteller allesamt leergefuttert sind, kann er kommen, der lange Abend. Doch halt nein, da ist noch was. Fürst Fedja rührt beide Doctoren zu Tränen. Hat dieser unglaubliche Pratajevianer es doch tatsächlich fertig gebracht, für jeden eine Matroschka anfertigen zu lassen. Die Betonung liegt hier auf „anfertigen“, denn
insgesamt alle sechs Elemente wurden handgemalt, stichgesägt und vermutlich auch gefräst, lackiert und danach in Kartons verpackt. Rührung erfordert Schnaps, Makarios gibt die Bestellung auf. Und wer das Krause-Theken-Team kennt, der weiß, noch ehe der erste Schnaps getrunken ist, steht bereits ein zweiter da. Wir sind ja nicht in der Südvorstadt, von Beruf „Szenegänger“, inmitten so einer Schicki-Studi-Erlebnisgastro mit Pinienkerntee im vergeudeten Sortiment. Oh nein, das sind wir nicht.

Iva aus Prag! Geheimrat Goethe, livehaftiger Vertreter von „Goethes Erbsen“! The unbelievable
Peter Richter aus Wismar! Schwarzschnapsbrenner Gurt Kaktus, in wohlgemerkt beiden Händen zwei Flaschen „Schnapsteeschnaps, Jahrgang 2013“, frisch aus dem Ballon! Die Conny-die-Manni-der Uli! Honorige Schülerinnen und Schüler der Steuerfachakademie (nächtliche Opfer von „Schnapsteeschnaps, Jahrgang 2013“). Ach und wie sie alle heißen. Ob herrlich kreischend, laut und lustig, in sich gekehrt, nach der Helga „Peitscha“ Bauer in sich suchend, wie auch immer stehend, hockend und adrett sitzend, rauchend, trinkend, kanariengrell und schwarz wie Pulver. Wir brechen
die Analogie hier mal ab, sonst wird’s Konzert noch ganz vergessen.

So um halb zehn dürfte es jetzt sein. „Was wollt Ihr wissen, kennt Ihr Pratajev immer noch nicht (….)“ Das Intro der Ratten-CD lenkt die Aufmerksamkeit des Krause-Volkes gen Süden, gen Bühne. Die Doctoren erstrahlen darauf unter einem Sonnensystem aus lauter leuchtenden Gloriolen. Man könnte auch sagen: Weia, wie die Scheinwerfer blenden. Dem November, so schrecklich er ist, wird gehuldigt. Pratajevs Herbstweise von fallenden Blättern und Gallensäften packt die Befindlichkeit am Schopfe. Makarios holt die „Schöne aus der Stadt“ 
ab, beim „Löffel aus Holz“ wird ein eben solches Monstrum auf die Bühne gereicht, welches schon viele Suppenkanonen von innen sah. Ein erfahrener, ein weiser Löffel ist’s, der noch auf keinem Gefäßgesäß zerbrach. Jedenfalls sind keine Holzleimspuren zu erkennen. Auch keine Holzwürmer, denn die verachten heiße Suppe aufs Allerschärfste. Vorm „Rotarmisten“, vorm „Schlips aus Lurch“ geht’s an die allseits umjubelte „Schnapsbar“. Verschnaufen, nass sind die Kleider. Hurtig ein Sakko übers Salzshirt geworfen, denkt sich Doctor Pichelstein und taucht die ausgetrocknete Zunge in eines der
Gelbschnapsgläser hinein. So viele sind’s, das ist ein Segen. Manche Boygroup würde vor Neid erblassen und zähneknirschend von sich geben: Immer nur Blümchen, BHs und Plüschtiere, die machen den Kohl auch nicht fett. Obwohl, na ja, besagte Kleidungsstücke, vielleicht. Aber nur als Zier auf einem üppigen Getränketablett. Das hätte Pratajev bestimmt auch sehr gut zu Gesicht gestanden. Wollen wir’s mal als kleine Anregung stehen lassen. Passendes Liedgut („Bebende Brust“) ist ja durchaus im Repertoire vorhanden.    

Nach kurzer Sondierungsphase geht’s weiter, folgt in der Menge ein klirrender Glasbruch in HD und Dolby Surround dem nächsten. Am Merchtisch hat Fürst Fedja aller Hand zu tun, Gurt Kaktus wird ein „Milzbrand“ gereicht. Für die kalten Nächte in der Datscha. In Piano-Nähe beginnen jetzt die Sangesfestspiele und es darf mit Fug und Recht behauptet werden: So schön, so laut, so wohlgelitten wurde noch nie bei einem Doctors-Konzert mitgesungen! Phasenweise reicht Makarios das Mikro in die tobende Menge. Zu blöd, dass keiner vorher an einen Livemitschnitt gedacht hat. Doctor Pichelstein gibt derweil alles, die Handgelenke überschlagen sich. Röte ziert’s nasse Gesicht; knapp vor Ende der Sause bleibt davon nur eine blinkende Discokugel zurück. Aber was tut man nicht alles, wir sind ja nicht beim Nonnenhockey. Und nach einer Schublade voller Zugaben muss es reichen für heute, für das Jahr 2013. Ein schönes Doctors-Jahr, so rund und voll und wunderbar. In den Weiten Russlands brennt ein Feuerwerk dafür. Mindestens.